A 322 - Kurzfassung des Schlussberichts
Verbesserte Nutzung des Betriebsfestigkeitspotentials von freien thermisch geschnittenen Kanten in schiffbaulichen Stahlkonstruktionen
Zusammenfassung des Abschlussberichtes zum Forschungsprojekt Verbesserte Nutzung des Betriebsfestigkeitspotentials von freien thermisch geschnittenen Kanten in schiffbaulichen Stahlkonstruktionen (A 322 / S0024/10266/20)
Laufzeit der Forschungsarbeiten: 01. Januar 2021 bis 30. April 2023
Die Stahlkonstruktionen von Schiffen zeichnen sich dadurch aus, dass mit Hilfe von Profilen und Trägern ausgerüsteten Paneelen ganze Sektionen des Schiffskörpers gefertigt werden. Neben diesen geschweißten Komponenten werden einzelne Bereiche mit Öffnungen versehen, um beispielsweise Lukenecken im Oberdeck von Containerschiffen oder große Fenster in Passagierschiffen zu erhalten. Fensteröffnungen haben sich im Laufe der letzten Jahre im europäischen Schiffbau zu einem wichtigen Konstruktionsdetail entwickelt, da sich im Schiffsdesign ein Trend zu immer größeren Fenstern in Außenkabinen von Kreuzfahrtschiffen und Yachten zeigt. Die mit größeren Öffnungen einhergehenden verminderten Strukturen sind beim Festigkeitsnachweis aufgrund der zu erwartenden Spannungskonzentrationen besonders zu beachten. Jegliche Art von Ausschnitten aus den schiffbaulichen Paneelen sind im globalen und lokalen Festigkeitsnachweis zu berücksichtigen und mit den geltenden Regelwerken der Klassifikationsgesellschaften zu bewerten. Zugleich ist der Trend wahrzunehmen, die stahlbauliche Konstruktion aus der Motivation der Gewichtsersparnis mit immer geringeren Plattendicken zu gestalten. Um die Tragfähigkeit der Struktur mit einer ausreichenden Festigkeit zu versehen, finden zunehmend höherfeste und in Zukunft unter Umständen auch hochfeste Stähle mit Streckgrenzen von bis zu 690 N/mm2 Einsatz.
Diese Optimierung der schiffbaulichen Strukturen ist mit der Anforderung versehen, das Strukturverhalten korrekt bewerten zu können. Im Nachweis der Festigkeit des Schiffskörpers wird im Falle der Betriebsfestigkeit traditionell den geschweißten Verbindungen eine große Bedeutung eingeräumt. Doch auch die freien Blechkanten werden aus den genannten Gründen immer bedeutsamer in ihrer Auslegung. Diese Blechkanten entstehen in der Regel auf den Fertigungsanlagen der Werften durch thermische Trennverfahren wie dem Plasmaschneiden oder dem autogenen Brennschneiden. Solche Blechkanten werden im fortlaufenden Fertigungsprozess im Regelfall mit Hilfe unterschiedlicher Werkzeuge bearbeitet, um eine möglichst kerbarme Geometrie zu erhalten und den Anforderungen an Beschichtungssysteme zu entsprechen. Die Empfehlungen zur Bewertung der Betriebsfestigkeit solcher Details basieren zum Teil auf jahrzehntealten Forschungsergebnissen, die unter Umständen nicht mehr dem derzeitigen Stand der Technik entsprechen. Vertreter der Industrie bemängeln, dass dies zu einer zu konservativen Gestaltung der Struktur führt. Dies geht damit einher, dass in dünnwandigen Strukturen häufig Einsatzplatten mit einer größeren Materialdicke verbaut werden, um die lokale Spannungskonzentration abzumildern. Insbesondere dieses Einbringen von zusätzlichem Material bedeutet einen hohen Kosten- und Arbeitsaufwand für den jeweiligen Betrieb. Zudem führt zusätzliches Material immer ein höheres Gesamtgewicht des Schiffes, was nach Möglichkeit vermieden werden sollte.
Das Forschungsvorhaben greift an diesem Punkt den Bedarf nach neuen Erkenntnissen in der Bewertung dieser Konstruktionsdetails auf. Zwar finden sich in der Literatur fortlaufende Untersuchungen zum Ermüdungsverhalten unterschiedlicher thermisch geschnittener Kanten, jedoch wurde dabei bisher der Effekt einer definierten, einheitlichen Nachbehandlung der Kantengeometrie außer Acht gelassen. Ziel des Vorhabens war es daher, das Ermüdungsverhalten von thermisch geschnittenen Stahlblechkanten mit einer definierten Nachbehandlung der Kante zu untersuchen. Die Ergebnisse sollten dazu dienen, den Stand der Technik besser abzubilden und schiffbauliche Strukturen konstruktiv effektiver ausschöpfen zu können.
Um das Gesamtziel zu erreichen, wurden folgende Teilaufgaben definiert:
- Ermittlung des aktuellen Stands der Technik auf Basis von Referenzproben, welche durch die Teilnehmer mit den jeweils üblichen Behandlungsmethoden bearbeitet wurden. Zudem wurde auf Basis dieser Versuche eine einheitliche Methode festgelegt, welche für die folgenden Untersuchungen angewendet wurde.
- Bestimmung der Werkstoffeigenschaften durch umfangreiche Charakterisierung von Probenkörpern.
- Ermittlung des Ermüdungsverhaltens unterschiedlicher Probenserien mit konstanten und variablen Lastamplituden.
- Einordnung und Analyse der Ergebnisse, Ausarbeitung von Empfehlungen für die industrielle Anwendung
Auf Basis dieser Arbeitspunkte konnte gezeigt werden, dass die thermisch geschnittenen Brennschnittkanten mit einer definierten Nachbehandlung ein Ermüdungsverhalten zeigen, welches zum Teil deutliche höhere Kennwerte erzielt, als es in den verfügbaren Empfehlungen und Regelwerken offeriert wird. Zudem konnte gezeigt werden, dass eine Nachbehandlungsmethode, die mit werftüblichen Werkzeugen appliziert werden kann, wirksam für alle untersuchten Serien angewendet werden konnte. Als geometrische Form wurde dabei eine Fase gewählt, die mit dem Schleifprozess in Längsrichtung aufgebracht wurde. Die gewählte Methode mittels Stabschleifer und passendem Schleifaufsatz konnte ähnliche gute Werte erzielen, wie sie an Referenzserien zu finden waren, die mittels CNC-Maschine einen Radius oder eine Fase an allen Kanten erhielten. Weiterhin konnte herausgestellt werden, dass die Streckgrenze der untersuchten Stähle einen deutlich erkennbaren Einfluss auf das Ermüdungsverhalten und die ertragbaren Lasten hat. Mit zunehmender Werkstofffestigkeit, bis zu der höchsten in diesem Vorhaben untersuchten Stahlsorte S690, konnte ein kontinuierlicher Zuwachs im Ermüdungsverhalten beobachtet werden. In der näheren Betrachtung des Versagensverhaltens konnte herausgestellt werden, dass die Betrachtung der Anrissorte als Bewertungskriterium einer wirksamen Nachbehandlungsmethode herangezogen werden kann. Freie Blechkanten ohne eine Nachbehandlung weisen häufig eine Rissinitiierung an den scharfkantigen Ecken auf, welche mit der lokalen Spannungskonzentration an diesem Punkt einhergehen. Durch Aufbringen eines Radius oder einer Fase konnte gezeigt werden, dass die Anrisse verlagert werden und von der Schnittfläche oder der Plattenoberfläche erfolgen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die erzielten Ergebnisse einen merklichen Mehrwert für die Bewertung von thermisch geschnittenen Kanten im Betriebsfestigkeitsnachweis liefern. Nachfolgend werden die ausgearbeiteten Kennwerte mit den im Vorhaben beteiligten Klassifikationsgesellschaften diskutiert, um die Erkenntnisse nach Möglichkeit in den Empfehlungen und Regelwerken zu berücksichtigen.
Das Ziel des Vorhabens, das Potenzial einer definierten Nachbehandlungsform und deren Einfluss auf das Ermüdungsverhalten von thermisch geschnittenen Kanten zu erforschen und festzustellen, konnte erreicht werden. Das Vorhaben trägt somit dazu bei, die Bewertungsmöglichkeiten im Festigkeitsnachweis zu verbessern und das Potenzial von neuen Schiffbaukonstruktionen besser auszuschöpfen. Die gewonnen Erkenntnisse können direkt für die industrielle Anwendung herangezogen werden und dazu beitragen, zukünftige Auslegungen des Ermüdungsverhaltens von Konstruktionen mit thermisch geschnittenen Kanten zu optimieren.
Forschungsstellen:
1)Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH)
Institut für Konstruktion und Festigkeit von Schiffen, D-21073 Hamburg,
Leiter: DSc. (Tech.) Franz von Bock und Polach
2) Technische Universität Braunschweig,
Institut für Füge- und Schweißtechnik IfS, D-38106 Braunschweig
Leiter: Prof. Dr.-Ing. Prof. h.c. Klaus Dilger
vorgelegt über:
Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM), Hamburg, für Forschungsvereinigung Schiffbau und Meerestechnik e.V. (FSM), Hamburg.
Begleitet wurde das Projekt von einem Arbeitskreis der Forschungsvereinigung Schiffbau und Meerestechnik e.V. (FSM).
Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.
Bezugsquelle Schlussbericht:
Bitte wenden Sie sich an die Geschäftsstelle der Forschungsvereinigung Schiffbau und Meerestechnik e.V. (FSM)
Weitere Informationen im Internet: