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A 308

Einfluss der Temperaturführung beim Schmieden auf das resultierende Werkstoffverhalten von AFP-Stählen

Zusammenfassung des Abschlussberichtes zum Forschungsprojekt

Einfluss der Temperaturführung beim Schmieden auf das resultierende Werkstoffverhalten von AFP-Stählen

 (A 308/  S 24/10240/16)

 

 Laufzeit der Forschungsarbeiten:     1. Januar 2017 – 31. Dezember 2019

Schmiedebauteile aus modernen Schmiedestählen weisen ein enormes Festigkeitspotential auf, welches für das beanspruchungsgerechte Design von Bauteilen im Zuge der Leichtbaukonstruktion genutzt werden kann. Die zyklischen Werkstoffeigenschaften, die sich infolge des Umformverfahrens und der ggf. anschließenden Wärmebehandlung einstellen, sind dabei ausschlaggebend für die Beanspruchbarkeit des Bauteils. Um das Festigkeitspotential des Werkstoffs zuverlässig erschließen zu können, ist daher die Bewertung des Einflusses unterschiedlicher Prozessparameter unabdingbar. Eine besondere Herausforderung stellt in diesem Zusammenhang die experimentelle Erfassung lokaler Werkstoffeigenschaften und die numerische Abbildung daraus resultierender Gefügegradienten dar.

 Im Rahmen des Projekts AVIF A308 „Einfluss der Temperaturführung beim Schmieden auf das resultierende Werkstoffverhalten von AFP-Stählen“ wurde der Einfluss der Temperaturführung und des Umformgrades auf das quasistatische und zyklische Werkstoffverhalten eines ausscheidungshärtenden ferritisch-perlitischen Stahls (kurz AFP-Stahl) untersucht. Die AFP-Stähle zeichnen sich dadurch aus, dass die Werkstoffeigenschaften durch eine gezielte Abkühlung aus der Schmiedehitze eingestellt werden und nachfolgende Vergütungs- und Anlassstufen entfallen können. Für AFP-Stähle ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die lokalen Werkstoffeigenschaften durch den Temperatur- und Umformgrad beeinflusst werden. Aus diesem Grund wurde ein Demonstratorbauteil (m»34 kg) auf zwei unterschiedlichen Schmiedepressen geschmiedet. Anschließend wurde als Abkühlroute entweder die Sammlung in einer Transportkiste oder die Vereinzelung auf einem Abkühlrost mit freier oder erzwungener Konvektion an allen Bauteiloberflächen ausgewählt, um die Auswirkungen unterschiedlicher Temperaturgradienten auf das quasistatische und zyklische Werkstoffverhalten sowie auf die mikrostrukturellen Eigenschaften untersuchen zu können und eine Korrelationen zwischen den einzelnen Prozessparametern und den quasistatischen bzw. zyklischen Werkstoffkennwerten ableiten zu können. Um den bauteilentnommenen Proben sowohl eine definierte t8/5-Zeit als auch einen lokalen Umformgrad zuweisen zu können und die thermomechanische Simulation mit möglichst industrienahen Parametern durchzuführen, wurden Umform- und Abkühlsimulationen sowie Temperaturmessungen bei der Schmiedung der Demonstratorbauteile herangezogen. Zur Erweiterung der Parametervariation auf kleinere t8/5-Zeiten, die im Referenzbauteil aufgrund der Masse nicht einstellbar sind, jedoch bei kleinen Bauteilen durchaus auftreten können, wurden außerdem auch thermomechanisch simulierte Proben mit hohen Abkühlgradienten hergestellt.

Es wurde sowohl lichtoptisch als auch mittels Rasterelektronenmikroskopie gezeigt, dass bei den untersuchten Abkühlvarianten im direkten Anschluss an die Bauteilschmiedung ein homogenes Gefüge über den Demonstratorquerschnitt eingestellt werden konnte. Ein Vergleich zwischen dem mittels Dilatometer bestimmten Umwandlungsverhalten des untersuchten Werkstoffes und den Abkühlkurven der industriell gefertigten Bauteile zeigt eine gute Übereinstimmung, Die Laborversuche am Dilatometer bestätigen, dass im ermittelten industrierelevanten Abkühlbereich keine deutlichen Unterschiede in der Mikrostruktur des AFP-Stahls zu erwarten sind. Eine Ausnahme konnte nur bei sehr langsamer Abkühlung der Bauteile in der Schmiedekiste identifiziert werden. Die quasistatischen Werkstoffeigenschaften wie Zugfestigkeit oder Kerbschlagarbeit weisen je nach gewählter Abkühlroute merkliche Streuungen auf, wobei definierte Abkühlbedingungen wie die Vereinzelung der Demonstratorbauteile zur Abkühlung auf einem Rost oder die aktive Kühlung mittels Gebläse zu einem signifikanten Rückgang der Streuung der Werkstoffkennwerte führte. 

 In zusätzlichen Laborschmiedungen wurde die t8/5-Zeit für die einzelnen Versuche genau eingestellt und über den bauteilrelevanten ferritisch-perlitischen Bereich variiert. Während die Ferritkorngröße mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit leicht abnimmt, konnte bezüglich des Ferritanteils kein eindeutiger Trend nachgewiesen werden. Die Untersuchung des Perlits mittels Rasterelektronenmikroskopie zeigte keine Abhängigkeit zwischen der Perlitkoloniegröße bzw. des Perlitlamellenabstandes und der t8/5-Zeit im untersuchten Bereich der Abkühlraten. Auch die quasistatischen Kennwerte aus dem Zug- und Kerbschlagbiegeversuch bei Raumtemperatur der thermomechanischen Simulation entnommenen Sekundärproben konnten die Prozessstabilität des Werkstoffes bezüglich der Abkühlbedingungen bestätigen.

Für die Betriebsfestigkeit von Schmiedebauteilen sind das zyklischen Spannungs-Dehnungsverhalten und die lokalen Beanspruchbarkeitskennwerte von erheblicher Bedeutung. Die Untersuchung der lokalen Werkstoffeigenschaften wurde in diesem Projekt erstmals mit Mikroproben vorgenommen, die über den gesamten Bauteilquerschnitt entnommen wurden, um den lokalen Eigenschaftsgradienten experimentell belegen zu können. Neben den bauteilentnommenen Proben wurden auch hier zusätzlich thermomechanisch simulierte Proben untersucht.

Es wurden sowohl die Dehnungswöhlerlinie zur Beschreibung der lokalen Beanspruchbarkeit als auch die zyklischen Spannungs-Dehnungskurven zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen äußeren Lasten und der lokalen Beanspruchungen abgeleitet. Die Ergebnisse der zyklischen Werkstoffuntersuchungen wurden dahingehend auf einen Zusammenhang zwischen lokalen Abkühlbedingungen sowie den Umformgraden untersucht. Für die ausgewählten t8/5-Zeiten lässt sich keine Korrelation zwischen Abkühlzeit und dem zyklischen Werkstoffverhalten der bauteilentnommenen Mikroproben ermitteln. Die gegenseitige thermische Beeinflussung der Bauteile in der Schmiedekiste führt auch zu einer erheblichen Streuung der zyklischen Kennwerte. Hinsichtlich des Einflusses der Temperaturführung auf die zyklischen Kennwerte lässt sich, auch aufgrund der hohen Streuung der Versuchsergebnisse, keine eindeutige Näherungslösung ableiten. Dementsprechend ist in der Praxis je nach Abkühlung zu entscheiden, ob ein entsprechender Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit im Bemessungskonzept zu berücksichtigen ist oder nicht.

 Für die Beanspruchbarkeit im Wöhlerversuch zeigt sich zusätzlich nur ein geringer Einfluss des lokalen Umformgrades. Anders verhält sich hingegen das zyklische Spannungs-Dehnungsverhalten. Hier konnte für den untersuchten Werkstoff eine Abhängigkeit vom lokalen betragsmäßigen Umformgrad bestimmt werden. Diese besitzt einen direkten Einfluss auf die infolge äußerer Lasten auftretenden lokalen Spannungen und Dehnungen. Zudem wird durch die lokale Umformung auch indirekt die numerische Lebensdauer des Bauteils beeinflusst, insbesondere wenn im Rahmen einer leichtbauoptimierten betriebsfesten Bauteilauslegung variable Beanspruchungsamplituden mit lokalisierten elastisch-plastischen Dehnungen zugelassen werden müssen. Aus diesem Grund ist die Nutzung von Werkstoffkennwerten, welche anhand von Proben aus dem unverformten Ausgangsmaterial erzeugt wurden, unzureichend, um die vollständige Ausnutzung des Leichtbaupotentials des Werkstoffs zu gewährleisten. Alternativ zu den im Labor thermomechanisch behandelten Proben können hier in der industriellen Umsetzung, unter Vernachlässigung von chargenbezogenen Schwankungen des Ausgangswerkstoffs, entsprechende Proben zur Ermittlung der Werkstoffkennwerte auch aus vorhandenen Bauteilen des gleichen Werkstoffs gefertigt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass für das bestehenden Bauteil die lokalen Umformgrade und t8/5-Zeiten bekannt oder einwandfrei zu ermitteln sind. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Verwendung von großen Probengeometrien zur zyklischen Kennwertermittlung unter Berücksichtigung der im Projekt erzielten Ergebnisse nicht empfohlen werden kann, da die Abbildung des Einflusses der Prozessparameter auf das lokale Materialverhalten durch statistische Mittelungseffekte fehlerhaft ist. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte lässt sich sowohl für den zyklischen Verfestigungskoeffizienten als auch für den zyklischen Verfestigungsexponenten eine Näherungslösung ableiten, welche die Abschätzung des lokalen zyklischen Spannungs-Dehnungsverhaltens auf Grundlage einer Umformsimulation zulässt.

Mittels der abgeleiteten Näherungslösung können Beanspruchbarkeitsanalysen für Bauteile aus dem untersuchten Werkstoff durchgeführt werden. Auf Grundlage einer Umform- und Abkühlsimulation werden die Kennwerte der zyklischen Spannungs-Dehnungskurve sowie der Dehnungswöhlerlinie den einzelnen Bauteilbereichen zugewiesen. Anschließend wird eine Beanspruchungssimulation zur Ermittlung der lokalen elasto-plastischen Beanspruchungen infolge der äußeren Lasten durchgeführt. Mittels Schädigungsparametern wird der Einfluss von Mittelspannungen auf die Bauteillebensdauer bei der anschließenden Abschätzung der ertragbaren Schwingspielzahlen berücksichtigt. Wie der Vergleich zwischen experimentellen und numerischen Lebensdauern zeigt, verbessert die Berücksichtigung der prozessbedingten Werkstoffeigenschaften bei der Lebensdauerabschätzung die Qualität des Bemessungsergebnisses deutlich, wodurch die Materialausnutzung bei gleichzeitiger Reduzierung von Unsicherheiten beim zyklischen Festigkeitsnachweis erhöht wird. Die direkte Verwendung der Projektergebnisse trägt daher auch zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Schmiedeerzeugnissen aus dem untersuchten AFP-Stahl bei. Eine Übertragung der angewendeten Vorgehensweise auf andere Werkstoffgruppen, beispielsweise Vergütungsstähle, ist erwünscht um auch hier eine Verbesserung der Prozesssicherheit und der Materialausnutzung zu ermöglichen. 

Das Forschungsprojekt wurde gefördert von der gemeinnützigen Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.. Zweck der Stiftung ist die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Stahlverarbeitung und –anwendung in der Bundesrepublik Deutschland. Geprüft wurde das Forschungsvorhaben von einem Gutachtergremium der Forschungsvereinigung der Arbeitsgemeinschaft der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie e.V. (AVIF), das sich aus Sachverständigen der Stahl anwendenden Industrie und der Wissenschaft zusammensetzt.

 

Forschungsstellen:

Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aachen

Technische Universität Darmstadt, Fachgebiet Systemzuverlässigkeit, Adaptronik und Maschinenakustik

 

Forschungsleiter:                         

Prof. Dr.-Ing. U. Krupp

Prof. Dr.-Ing. T. Melz

 

vorgelegt von: Industrieverband Massivumformung e. V.

 

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

 

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF

14.09.2020