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A270

Neue universelle Bemessungsmethode für schwingend belastete gesinterte Bauteile komplexer Geometrie

(A270 S 24/10180/2010)

 

Laufzeit der Forschungsarbeiten:     1. Januar 2011 – 30. Juni 2013

 

Zu Schwingfestigkeitskennwerten von Sinterstählen im gekerbten Zustand sind bisher nur wenige Untersuchungen bekannt, so dass eine konsistente Beschreibung der Beanspruchbarkeit, vergleichbar den Regeln der FKM-Richtlinie, nicht existiert. Im Rahmen eines vorangegangenen Projektes, AVIF A 253, wurde dargestellt, dass das höchstbeanspruchte Werkstoffvolumen (HBV) mit der örtlich ertragbaren Beanspruchung korreliert und so eine einfache Methode für eine effiziente Bauteilentwicklung darstellen könnte. Dieser Ansatz wurde in dem vorliegenden Projekt weiter verfolgt mit folgenden Zielen:

-       Erweiterung der Datenbasis auf kleinere und größere HBV-Werte durch Einbeziehung neuer Probenformen mit sehr kleinem HBV, Kerbradius 0,1 mm, sowie größeren Proben mit deutlich größerem HBV unter unterschiedlichen Belastungsarten,

-       Erweiterung des Mittelspannungsbereichs für eine Abschätzung der Mittelspannungsempfindlichkeit in Verbindung mit der Methode des HBV sowie Erstellung eines Haigh-Diagramms,

-       Nach der Definition des HBV wird der Ort der größten Hauptnormalspannung s1 und das Volumen in diesem Bereich bestimmt, in welchem mindestens 90 % der maximalen Spannung vorliegt (f ∙s1 mit f = 0,9). Diese Methode wurde nun auch hinsichtlich einer Anwendung mit f = 0,95 sowie f = 0,80 untersucht.

Ziel des Forschungsvorhabens war es, ein Verfahren zur Berechnung der Tragfähigkeit von schwingend beanspruchten Bauteilen aus zwei unterschiedlichen Sinterstählen zu entwickeln. Das Verfahren muss die Einflussgrößen

-          Dichte im für Sinterstähle typischen Bereich von 6,7 bis 7,2 g/cm3,

-          Mittelspannungen für Spannungsverhältnisse von R = -5 bis R = 0,5,

-          Kerben für Formzahlen von K t= 1 bis Kt > 5, 

-          Belastungsart (axial, Biegung, Torsion) und

-          Proben- bzw. Bauteilgröße

mittels eines Ansatzes nach dem örtlichen Konzept einbeziehen. Das Werkstoffverhalten war zunächst in Versuchen an Proben mit erheblicher Flankierung durch Finite-Elemente-Berechnungen zu ermitteln. Aus den daraus abzuleitenden Regeln war ein Rechenweg aufzuzeigen, mit dessen Hilfe möglichst beliebig gestaltete und in Einstufenversuchen schwingend belastete Bauteile in ihrer Tragfähigkeit treffsicher abzuschätzen sind.

Der Schwerpunkt der Arbeiten lag auf Finite-Elemente-Berechnungen von hochbeanspruchten Volumina, Formzahlen und, speziell bei den Bauteilen, Lastübertragungsfaktoren. Dabei wurden als potenziell rissauslösende Spannungen die größte Hauptnormalspannung mit der Vergleichsspannung nach von Mises verglichen. Es stellte sich schnell heraus, dass die von-Misessche Vergleichsspannung nicht sicher geeignet ist, um den Ort der Rissentstehung vorherzusagen, unzweideutig gelang dies nur mit der größten Hauptnormalspannung sI. Für alle sechs Probengeometrien und die fünf Bauteile wurden die hochbelasteten Volumina (HBV) um die größten Hauptnormalspannungen berechnet. Dazu wurden die Volumina für eine vergleichende Betrachtung bei 80, 90 und 95 % von sbegrenzt. Aus sfür Probengeometrien erhält man zusammen mit der Nennspannung die Formzahl Kt, bei Bauteilen zusammen mit einer Einheitsbelastung den Lastübertragungsfaktor als Proportionalitätsfaktor zwischen äußerer Belastung und resultierender örtlicher Spitzenspannung.

Um die untersuchten Spannen von HBV auf über sechs Zehnerpotenzen und die Formzahlen auf Werte Kt > 5 auszuweiten, wurde in der Industrie ein neues Pulverpresswerkzeug mit einem Kerbradius von nur 0,1 mm gebaut. Aus früheren Untersuchungen standen zwei milder gekerbte sowie drei ungekerbte Probengeometrien zur Verfügung. Alle Proben, Bauteile und Adaptionen für die Bauteilprüfung wurden in der Industrie gefertigt. Die Rohstoffe stellten international tätige Pulverproduzenten pressfertig zur Verfügung. Die Prüfungen von Proben und Bauteilen fanden an den beiden beteiligten Forschungsstellen und bei zwei Industriepartnern statt.

Aus dem Produkt von nominell ertragbarer Schwingfestigkeit bei 107 Schwingspielen und 50 % Überlebenswahrscheinlichkeit sowie der errechneten Formzahl Kt erhält man die örtlich ertragbare Schwingfestigkeit KtsA. Diese Größe steht in einem sehr engen funktionalen Zusammenhang mit dem HBV, der für die Spannungsverhältnisse R = -5 (nur axial), R = -1, R = 0, und R = 0 (axial, Biegung und Torsion) unter Einbeziehung der Ergebnisse aus dem Vorläuferprojekt AVIF A 253 (scharfe Kerben Sinterstahl) mit den gleichen beiden Stählen experimentell untersucht und mit einem Derivat der Weibull-Gleichung analytisch dargestellt wurde. Überraschenderweise erwies sich die Definition des HBV (80, 90 oder 95% von sI für die Hüllfläche im Raum) als völlig unbedeutend für diese Darstellung. Eher erwartet, aber keineswegs selbstverständlich, war die Erkenntnis, dass die Belastungsart (axial, Biegung, oder Torsion) keine Auswirkung auf den Zusammenhang zwischen Ktsund HBV hat.  Mit den gewählten Versuchsbedingungen gelang es, die Spanne des HBV auf fast sieben Zehnerpotenzen und die der Formzahlen bis Kt ≈ 6,8 auszuweiten. Untersuchungen dieses Umfangs hat es bisher für Sinterstähle noch nicht gegeben.

Mit den vier Beziehungen zwischen Ktsund HBV kann man, unter Verwendung eines etablierten Ausdrucks für den Einfluss der Dichte auf die Schwingfestigkeit, mit den vier Stützstellen bei R = -5, R = -1, R = 0 und R = 0,5 ein Haigh-Diagramm zu jedem HBV und jeder Dichte als Polygonzug konstruieren. Für jedes beliebige Spannungsverhältnis aus -5 ≤ R ≤ 0,5 lässt sich durch Interpolation zwischen den benachbarten Spannungsverhältnissen die zugehörige ertragbare Spannungsamplitude berechnen. Eleganter ist ein geschlossener Ausdruck, der alle Einflussgrößen zusammenfasst. Ein solcher Ausdruck konnte mit einem Satz von tanh-Funktionen gefunden werden, mit dessen Hilfe alle Versuchsergebnisse als Funktion der örtlichen Wechselfestigkeit bei KtsA(R = -1) hervorragend beschrieben werden. Um die Schwingfestigkeitsamplituden der Bauteile abzuschätzen, muss für die praxisübliche Belastungsart zunächst mittels finiter Elemente das HBV aller denkbaren Versagensorte mit den zugehörigen Lastübertragungsfaktoren ermittelt werden. Als weitere Eingangsgröße benötigt man die jeweilige örtliche Dichte. Bei der geschlossenen Lösung errechnet man aus der örtlichen Dichte r, dem HBV und dem Spannungsverhältnis R die ertragbare Spannungsamplitude Ktsdirekt, bei Interpolationen innerhalb eines Haigh-Diagramms in Form eines Polygonzuges berechnet man die Spannungsamplitude KtsA bei den beiden benachbarten R-Werten, um interpolieren zu können. Das Resultat wird durch den Lastübertragungsfaktor dividiert und liefert die ertragbare Lastamplitude. Bauteile mit mehreren versagenskritischen Stellen müssen an jeder dieser Stellen diese Prozedur durchlaufen. Letztlich entscheidend ist dann der Ort mit der geringsten ertragbaren Lastamplitude.

Die Zuverlässigkeit dieser Methode wurde über Bauteilversuche anhand von folgenden Bauteilen untersucht:

-          ein Kleinpleuel, axial, R = -2,333

-          ein Synchronkörper, Torsion, R = 0,05

-          eine Ventilbrücke, Biegung, zwei Werkstoffe, R = 0,05

-          eine Spannpratze, Biegung, ein Werkstoff R = 0,4, ein Werkstoff R = 0,6

-          ein Stirnrad, Zahnfussbiegung, zwei Dichten, zwei Werkstoffe, R  = 0,1 und R = 0,5

Die Zahnräder und die Ventilbrücken verhielten sich im Bauteilversuch etwa so wie rechnerisch vorhergesagt. Die Schwingfestigkeit von Synchronkörper und Spannpratzen wurden um größenordnungsmäßig 25 % unterschätzt. Die Festigkeit des Pleuels wurde erheblich überschätzt. Beim Pleuel beruht die Diskrepanz wahrscheinlich auf Schwierigkeiten bei der axialen Ausrichtung, da mit Dehnmessstreifen überlagerte Biegespannungen bis 100 N/mm2festgestellt wurden. Beim Synchronkörper erwies sich durch Form- und Lagetoleranzen an Bauteil und Adaptionsteilen der Belastungseinrichtungen die gleichmäßige Beanspruchung als nicht ausreichend reproduzierbar. Bei der Spannpratze liegt neben der Biege- eine ausgeprägte Torsionsbeanspruchung vor. Wahrscheinlich ist eine Bewertung alleine mit der größten Hauptnormalspannung deshalb zu simpel.

Zusammengenommen wurde das Verständnis der Schwingfestigkeit poröser Sinterstähle besonders im gekerbten Zustand und über einen sehr großen Bereich von Mittelspannungen erheblich erweitert und verbessert sowie die Beanspruchbarkeit solcher Werkstoffe über die Methode des HBV für die industrielle Anwendung aufbereitet. Das Ziel des Vorhabens wurde somit erreicht.

Das vorgestellte Konzept zur Bemessung beliebig gestalteter und beanspruchter Sinterbauteile scheint gangbar. Für die Anwendung bedarf es gegebenenfalls noch der Berücksichtigung eines Mehrachsigkeitskriteriums sowie größter Reproduzierbarkeit der zu prüfenden Bauteile und der Belastungseinrichtungen.

 

Forschungsstelle:

Institut für Werkstoffanwendungen im Maschinenbau der RWTH Aachen (IWM)

www.iwm.rwth-aachen.de

Forschungsleiter:                         

Prof. Dr.-Ing. Paul Beiss

(vorgelegt vom Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V. (WSM))

 

 

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

 

 

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF

23.01.2014