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A203

Geometrische und kinematische Untersuchungen an Schraubenverbindungen zur Erhöhung der Prozesssicherheit in der automatischen Montage


(A203 / S 24/10046/2002)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Januar 2003 - 31. Dezember 2004

Neue innovative Produkte mit neuen Konstruktions- und Funktionsprinzipien sowie neue Werkstoffe verlangen auch innovative Fügetechnologien. Die Herstellung beanspruchungsgerechter Fügeverbindungen ist eine Grundforderung der Montage. Deren optimale Auswahl hinsichtlich der erforderlichen Beanspruchung und Prozesssicherheit der Fügetechnologie ist eine wesentliche Voraussetzung für eine kostengünstige Montage und somit für ein markttaugliches Produkt. Vor allem die aufwändige, kosten- und arbeitsintensive Herstellung von Schraubenverbindungen lässt die Anwender nach alternativen, einfacher zu mechanisierenden bzw. automatisierenden Fügeverfahren suchen, obwohl die Schraubenverbindung einige wesentliche Vorteile aufweist. Besonders der Vorteil der einfachen Lösbarkeit, der mit der Forderung nach instandhaltungs- und recyclinggerechter Konstruktion an Bedeutung gewinnt, und die universelle Einsetzbarkeit bei gleichzeitiger Eignung für hochbelastete und sicherheitsrelevante Verbindungen sind für Schraubenverbindungen charakteristisch. Die Erhöhung der Prozesssicherheit der Schraubenmontage bei größerer Produktflexibilität und immer geringeren Montagezeiten ist ein we-sentlicher Faktor für die Qualität und Rentabilität der Schraubenverbindungen.

Nachdem den Anforderungen der automatisierten Montage bei der Produktentwicklung zunehmend Rechnung getragen wird und die Anziehverfahren vor allem in Hinblick auf dokumentationspflichtige Sicherheitsverschraubungen wesentlich genauer geworden sind, spielt die Zuverlässigkeit des Schraubvorganges selbst aufgrund der geforderten hohen Anlagenverfügbarkeit eine immer größere Rolle. Dabei hat die Schraube selbst, ihre Gestaltung und das damit verbundene Verhalten beim Finden, Ansetzen und Verschrauben mit statistisch gesichertem An-zugsdrehmoment einen großen Einfluss auf die Zuverlässigkeit des Schraubablaufes und damit auf die Verfügbarkeit der Anlage. Außerdem werden zunehmend den Anwendern mechanischer Verbindungselemente eine unübersichtlichere Anzahl von Gewindeenden- und Kraftangriffsgeometrien empfohlen.

Durch analytische und experimentelle Betrachtungen der geometrischen und kinematischen Wechselwirkungen zwischen der Schrauben- und der Bauteilgeometrie sollten Kriterien und ein Entscheidungsalgorithmus gefunden werden, welche Konstrukteuren sowie Schrauben- und Schraubgeräteherstellern eine schnellere und optimale Auslegung von Schraubverbindungen für die automatische Montage ermöglichen. Ausgehend von Aussagen über die Grenzwerte von einzuhaltendem Axial- und Winkelversatz und der Klassifizierung und mathematischen Model-lierung der geometrischen und kinematischen Randbedingungen am Gewindeende und am Kraftangriff wurden grundlegende Zusammenhänge untersucht.

Eine der am häufigsten eingesetzten Gewindeenden zur Unterstützung des Ansetzvorganges ist der Einführzapfen mit Ansatzspitze nach DIN EN ISO 4753 und der Werksnorm VW 60424. Der Führungszylinder hat hauptsächlich die Aufgabe, Axial- und Winkelversatz beim Ein-schraubvorgang auszugleichen, um ein Verkanten der Gewinde zu verhindern. Eine zusätzliche Ansatzspitze erleichtert das “Finden“ der Schraube. Die Berechnung des kritischen Winkels für das Verkanten des Gewindes ist ein analytischer Ansatz zur Dimensionierung von geeigneten Führungselementen an Schrauben. Aus dieser Tatsache und den durchgeführten analytischen Betrachtungen wurden optimale Abmessungen des Führungszylinders bestimmt. Diese sind Grundlage für ein Berechnungsmodell “Klemmlänge – Führungszylinder“.

Die schnelle Weiterentwicklung der Konstruktionssoftware und die Tatsache, dass auch Konstrukteure kleinerer Unternehmen ohne modernste Software nicht auskommen, ermöglichen einen anderen Lösungsweg. Es wurde ein vereinfachter Algorithmus für CAD-Programme erstellt, welcher die schon im CAD-Format vorliegenden Gewindeenden zur schnellen Entscheidung über die Grenzwerte von Axial- und Winkelversatz nutzt. Ein Vergleich der theoretischen und experimentell ermittelten Grenzklemmlängen für Schrauben M4, M6, M8, M10 mit Gewindeenden nach DIN EN ISO 4753 Form PF und nach VW 604 24 Form W bestätigt, dass der entwickelte Algorithmus ein geeignetes Hilfsmittel für eine sinnvolle Auswahl von speziellen Gewindeenden als Positionier- und Zentrierhilfen ist.
Die Nutzung der experimentellen Prozessanalyse ist eine sehr aufwändige Methode zur optimalen Gestaltung des Gewindeendes. Sie ist jedoch geeignet zur Optimierung der Prozesssicherheit von Verschraubungen, bei welchen durch die Konstruktion, die Werkstoffe oder die Montagebedingungen eine Vielzahl von speziellen Randbedingungen vorgeschrieben werden. Durch die Definition von Fügezustandsklassen können die relevanten Zielsstellungen als Ausgangsgröße in Fuzzy-Modellen definiert werden. In einem Beispiel waren die geometrischen Abmessungen einer Ansatzspitze und der Versatz die variablen Eingangsgrößen. An Hand dieses Beispiels wurde ein allgemeingültiger Algorithmus zur Bewertung des Findeverhaltens und zur Optimierung von Gewindeenden mit Hilfe der experimentellen Prozessanalyse entwickelt. Der Vorteil ist, dass dieser Algorithmus für alle technisch sinnvollen geometrischen und kinematischen Randbedingungen angewendet werden kann.

Weiterhin wurden Tastversuche mit Sonderformen durchgeführt, welche von Schraubenherstellern zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden. Die Ergebnisse ergänzen die erstellten Entscheidungs- und Gestaltungsrichtlinien.
Im Projektverlauf wurde auf den aktuellen Untersuchungsbedarf über das Findeverhalten von metrischen gewindefurchenden Schrauben bei Axial- und Winkelversatz hingewiesen. In Versuchen wurde das Verhalten der unterschiedlichen Gewindeenden bei Winkelversatz hinsichtlich der Einschraubmomente und Querkräfte untersucht. Die Versuchsergebnisse sind jedoch mit den erstellten Modellen nicht interpretierbar, da diese speziellen Gewindeenden neben dem Finden auch den Gewindefurchprozess unterstützen.

Gegenwärtig werden Schrauben mit den unterschiedlichsten Kraftangriffen angeboten und die Entwicklung immer neuer Geometrien führen beim Anwender zur Verunsicherung hinsichtlich der optimalen Auswahl. Daraus ergibt sich die Zielstellung, Entscheidungskriterien und Grenzwerte sowie Berechnungsmodelle für funktions- und beanspruchungsgerechte Auswahl von Kraftangriffen zu finden.
Eine einfache Möglichkeit zum Vergleich verschiedener Kraftangriffsgeometrien ist die Berech-nung der Wirkkräfte an den Gewindeflanken. Mit diesen einfachen zweidimensionalen Modellen können mit den Verhältnissen von Normal-, Tangential- und Wirkkräften je Flanke charakteristi-sche Merkmale der verschiedenen Kraftangriffsgeometrien bewertet werden. Mit den erstellten Modellen wurden die Kräfte für Vielzahn-, Sechskant- und Sechsrundgeometrien für Schrauben M8 berechnet und interpretiert.
Für einen Vergleich unterschiedlicher Kraftangriffsgeometrien bei Axial- und Winkelversatz ist eine nähere Betrachtung der Besonderheiten des Kuppel- und Einschraubprozesses notwendig. In Anhängigkeit von den Kraftangriffsgeometrien wurden Grenzkippwinkel ermittelt, bei welchen das Schraubwerkzeug den Kraftangriff der Schraube noch findet. Beim Finden und Zentrieren ist dieser Grenzkippwinkel jedoch abhängig von der Kontakttiefe des Schraubwerkzeuges im Kraftangriff der Schraube. Da die verschiedenen Kraftangriffsgeometrien mit unterschiedlichen Abmessungen sehr kompliziert sind, wurden diese im CAD-Format gezeichnet und Kollisionsprüfungen durchgeführt. Versuchergebnisse zeigen, dass diese Methode ein geeignetes Hilfsmittel ist, die Winkelversatzgrenzwerte für das Finden abzuschätzen.

Außerdem wurde in Versuchen nachgewiesen, dass diese theoretisch ermittelten Werte ebenfalls eine gute Orientierung für die Vorhersage von Cam-Out-Effekten sind. Besonders bei großem Winkelversatz besteht diese Gefahr. Es konnte festgestellt werden, dass die verschiedenen Kraftangriffsgeometrien sehr unterschiedliche Neigungen zu Cam-Out-Effekten haben.

Bei auftretendem Axial- und Winkelversatz sind die zweidimensionalen Modelle aufgrund des Einflusses der Eindringtiefe des Bits in den Schraubenkopf ungeeignet. Dafür sind dreidimensionale geometrische und kinematische Modelle notwendig. Als numerisches Lösungsverfahren bietet sich die Methode der Finiten Elemente an. Vorteilhaft ist, dass die heutigen Konstrukti-onsprogramme einen einfachen Import dreidimensionaler Geometrien in die Simulationssoft-ware ermöglichen. Somit können standardisierte Bit- und Schraubenkopfgeometrie dreidimensional als CAD-Modell gezeichnet und daraus in der FE-Software als geometrische Modelle generiert werden, mit denen die Spannungsverteilungen in Bit und Schraubenkopf bei unterschiedlichem Versatz und Eindringtiefe berechnet werden. Der Vergleich der in linear elastischen Modellen ermittelten maximalen Spannungen ist für die Interpretation des Verhaltens aller Kraftangriffsgeometrien bei Winkelversatz gut geeignet. Alle Ergebnisse wurden in der Entscheidungsmatrix zusammengefasst.

Zur Bewertung des Übertragungs- und Anziehverhaltens unterschiedlicher Kraftangriffsgeomet-rien ist das rein elastische Modell mit kleinen Beanspruchungen weniger geeignet. Aus diesem Grund wurden elastoplastische Modelle erstellt. Die dafür notwendigen großen Anziehmomente ermöglichen zusätzlich eine einfache Verifizierung der FEM-Modelle. Vergleiche zwischen gemessenen und berechneten Deformationen bestätigten die Zuverlässigkeit der erstellten Modelle. Somit ist es möglich, jede neue Kraftangriffsgeometrie mit Hilfe der FEM-Simulation zu bewerten.

Die optimale Schraubengeometrie für eine prozesssichere Montage ist von einer Vielzahl von konstruktiven, technologischen und wirtschaftlichen Faktoren anhängig. Alle gewonnen Erkenntnisse wurden in Entscheidungs- und Gestaltungsrichtlinien zusammengefasst. Bestandteile sind allgemeingültige Auswahl- und Gestaltungsregeln, Dimensionierungsmodelle, eine Bewertungsmatrix und FEM-Modelle. Damit können neben den standardisierten Gewindeenden und Kraftangriffen auch alle neuen Geometrien bewertet werden.

Aufgrund der verschiedensten Messaufgaben des Forschungsprojekts und den aktuellen Anfra-gen von Schraubenherstellern und – anwendern wurde im Projektverlauf ein Versuchsstand mit verschiedenen Vorrichtungen und Messmodulen entwickelt, mit welchem alle relevanten Schraubaufgaben bis M10 untersucht werden können. Mit dem Versuchsstand können alle notwendigen geometrischen und kinematischen Prozessparameter gemessen und ausgewertet werden. Mit dem modifizierten Versuchsstand und den vorliegenden Erfahrungen erhalten Schraubenhersteller für ihre Kunden fundierte Aussagen über das Verhalten und die Grenzwe-te der geometrischen und kinematischen Randbedingungen für einen prozesssicheren Einschraubprozess. Gegenwärtig werden verschiedene Problemstellungen von Schraubenherstellern und Anwendern untersucht.

Das Ergebnis des Forschungsvorhabens sind Hilfsmittel zur Optimierung des Finde- und Positioniervorganges bei der Schraubenmontage. Damit erhält der Anwender die Möglichkeit, für seinen Anwendungsfall die optimale Schraubengeometrie auszuwählen, seine Bauteile entsprechend zu gestalten sowie durch die Kenntnis der Grenzwerte der Positioniergenauigkeit, diese schon in der Planungsphase in die Auslegung der Schraubstation einfließen zu lassen. Außerdem kann dadurch falsche oder unzureichende Auslegungen der Verbindungselemente für Fü-geaufgabe vermieden werden. Somit wird entscheidend die Prozesssicherheit bei der automatischen Montage verbessert. Es können teure Prozessausfallzeiten vermieden und die Qualität der Schraubenverbindung verbessert werden.

Forschungsstelle 1:
Institut für Oberflächen- und Fertigungstechnik, Professur Fügetechnik und Montage TU Dreden (FTM)
http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_maschinenwesen/iof/fue  
Forschungsleiter 1:

Dipl.-Ing. V. Johne
 
(vorgelegt vom Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V. (WSM) für Deutscher Schraubenverand e.V. Hagen (DSV))

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF