A257

Darstellung des schmelzenspezifischen Zeitstandbruchverhaltens ausgewählter warmfester Stähle auf der Grundlage der Datenaufbereitung über Neuronale Netze


(A257 S 24/10157/2008)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Juli 2008 - 30. September 2010

Bei fossilen Kraftwerken ist die Lebensdauerbewertung der hochbelasteten Hochtemperatur-Komponenten eine zentrale Aufgabe, die im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit, der Wirtschaftlichkeit und dem Wirkungsgrad steht, aber auch Aspekte der Betreiberverantwortung abdeckt. Eine zentrale Problemstellung ist in diesem Kontext die zuverlässige Bewertung der spezifischen Materialeigenschaften. Die lebensdauerbestimmenden Eigenschaften von Bauteilen, die im Kriechbereich eingesetzt werden, werden durch Zeitstandkennwerte dargestellt. Diese Kennwerte sind zeitabhängig und werden stark von den nicht einzugrenzenden Herstellungsbedingungen beeinflusst. Diese sind im Wesentlichen:
• Die zulässigen Schwankungen im Rahmen der erlaubten Spannbreiten der chemischen Zu-sammensetzung;

• Die zulässigen Schwankungen im Rahmen der erlaubten Spannbreiten der Wärmebehandlung;

• Die unterschiedlichen Verarbeitungsbedingungen bei der Herstellung von verschiedenen Halbzeugarten.

Die Änderungen dieser Merkmale rufen eine systematische Streuung der Zeitstandswerte hervor. Zufällige Abweichungen wie z. B. bei den Parametern Versuchstemperatur oder Probengeometrie überlagern sich. Bei der Lebensdauerbetrachtung wird aus Sicherheitsgründen als Bezugsgröße die untere Grenze dieses Streubandes der Zeitstandfestigkeit herangezogen. Diese liegt 20% unter dem Mittelwert. Als Folge stellt sich für Bauteile, deren Schmelze eine Zeit-standfestigkeit aufweisen, die über dieser unteren Streubandgrenze liegt, eine signifikante Unterschätzung der tatsächlichen Lebensdauer ein. Dies hat zur Folge, dass sich unnötige Stillstände wegen durchzuführender zusätzlicher Überwachungen oder durch einen ein zu frühen Ausbau ergeben. Die Kenntnis der individuellen Zeitstandfestigkeit würde die Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit daher deutlich verbessern.

Für die Ermittlung der individuellen Zeitstandfestigkeit steht nach dem aktuellen Stand des Wissens und der Technik nur die experimentelle Ermittlung über Zeitstandversuche an vorhandenem Material (z. B. Rückstellproben) zur Verfügung. In dem vorangegangenen AVIF-Vorhaben A 198 wurden am Modellwerkstoff X20CrMoV12-1 die Möglichkeiten dargestellt, mit Hilfe eines neuronalen Netzes die individuelle Zeitstandfestigkeit einer Einzelschmelze ohne experimentelle Untersuchung dieser Schmelze zu ermitteln. Die Lage der Einzelschmelzen im Streuband konnte erfolgreich ermittelt werden. Eine Erkenntnis des vorausgegangenen Projekts ist, dass die Erwartung, mit der Wahl des X20CrMoV12-1 einen für den Nachweis der Effektivität der Methode der Neuronale Netze besonders günstigen Modellwerkstoff ausgewählt zu haben, nicht richtig war. Es lagen zwar sehr viele Daten vor, allerdings hat sich der Datenpool über einen sehr langen Zeitraum angesammelt und beinhaltet eine Vielzahl von Schmelzen, die nicht den heutigen Anforderungen entsprechen und die teilweise zur Untersuchung heute kaum noch nachvollziehbarer Effekte dienten.

Im vorliegenden Projekt sollten die Ergebnisse des Vorhabens A 198 verdichtet werden und die Methode „künstliches Neuronales Netz (KNN)“ als Werkszeug für die Bestimmung des Zeitstandverhaltens einzelner Schmelzen etabliert und auf zusätzliche Stahlsorten erweitert werden. Um die Effektivität des künstlichen Neuronalen Netzes (kNN) zu gewährleisten, war daher eine expertengestützte Aufarbeitung der vorhandenen Daten unerlässlich. Das bedeutet, dass die zum Training des kNN verwendeten Datensätze einzeln überprüft werden müssen. Damit muss ausgeschlossen werden, dass z. B. falsche Angaben zu einzelnen Werten importiert werden und zum anderen Schmelzen verwendet werden, die nicht den Anforderungen (der betreffenden Norm) entsprechen.

Mit der Wahl der Stähle P91, P92 und E911 für das vorliegende Projekt erhoffte man sich eine weitaus bessere Datenkonsistenz als beim X20CrMoV12-1. Es war jedoch von Anfang an klar, dass der Datenumfang gegenüber dem des X20CrMoV12-1 begrenzt war. Die Analyse der bereitgestellten Daten zeigte, dass die Stähle P92 und in besonderem Maß der Stahl E911, eine relativ geringe Zahl von Datensätzen aufwiesen. Als weiterer Problempunkt kam hinzu, dass die Dokumentation in vielen Fällen unvollständig war und deshalb nochmals eine Reduzierung der Datensätze vorgenommen werden musste. Die Belegung mit Datensätzen im Langzeitbereich war im Vergleich mit dem X20CrMoV12-1 sehr schlecht. Beide Umstände führten dazu, dass die Abbildung des Zeitstandverhaltens mit dem kNN insgesamt nicht so erfolgreich war wie beim X20CrMoV12-1.

Das Vorhaben stellte erstmals die Modellierung mit dem kNN den Ergebnissen auf der Basis einer Regressionsanalyse gegenüber. Dabei zeigte sich, dass das kNN ein besseres Korrelationsverhalten aufweist, weil es die mehrdimensionalen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Elementen der chemischen Zusammensetzung, den Parametern der Wärmebehandlung, der Erzeugnisform und den Zugversuchseigenschaften besser wiedergibt.

Nach der erfolgten Datenkonsolidierung wurden mit einem Teil der Daten verschiedene Modelle des kNN trainiert, wobei sowohl die Zielgrößen (Zeitstandfestigkeit, Zeitstandbruchzeit, Streckgrenze bei Raumtemperatur (RT), Bruchdehnung bei RT) verwendet wurden. Diese Modelle wurden mit unterschiedlichen Datenebenen trainiert, die sich über die Zahl der jeweiligen Merkmale unterschieden. Eine Besonderheit in diesem Vorhaben war die Einbeziehung von Mikrostrukturparametern. Für die Bestimmung dieser Merkmale wurden eine Anzahl ausgewählter Proben untersucht. Bei der Verwendung von Datenebenen ohne Mikrostrukturparameter wurden für die Zielgröße Streckgrenze ein wenig zufriedenstellendes Korrelationsverhalten gefunden, wenn die Erzeugnisform nicht berücksichtigt wurde. Bei der Modellierung der Daten der Erzeugnisform „Rohre“ konnte eine deutliche Verbesserung erzielt werden. Aufgrund der – vermutlich auch zufallsbedingten – starken Streuung der experimentellen Daten, war es dennoch schwierig, eine gute Übereinstimmung darzustellen. Die Zielgröße „Bruchdehnung“ wurde beim Stahl P92 untersucht. Die kNN-Modellierung für die Zielgröße „Zeitstand-Bruchdehnung“ ergab eine deutlich größere Streuung zwischen Mess-und Modellwerten als bei den anderen Zielgrößen (Zeitstandfestigkeit), was sich folgerichtig in einer entsprechend schlechten Korrelation widerspiegelt, d.h., das kNN kann auf Grund der Datenlage kein befriedigendes Modell erstellen, und das selbst dann nicht, wenn grobe Ausreißer eliminiert werden. Auch eine weitere Analyse von Ausreißer-Punkten hat keine besseren Ergebnisse ergeben.

Die Modellierungen des kNN wurden benutzt, um unterstellte metallkundliche Zusammenhänge z. B. zwischen Elementgehalten oder Wärmebehandlungsparametern und der Zeitstandfestigkeit zu überprüfen. Einschränkend ist an dieser Stelle zu sagen, dass sich bei dieser Überprüfung das Fehlen einer statistischen Absicherung der Langzeitwerte sich als nachteilig erwiesen hat. Für die Überprüfung des Einflusses unterschiedlicher chemischer Zusammensetzungen auf die Zeitstandfestigkeit wurde eine „künstliche“ Schmelze definiert, die den Mittelwert aller berücksichtigten Merkmale repräsentierte. Die Modellierung dieser Schmelze mit dem kNN ergab, dass die errechnete Zeitstandbruchkurve bei 600 und 650°V recht gut die EN-Mittelwertskurve trifft, bei 500 und 550°C liegt sie unter der EN – Mittelwertskurve. Im Langzeitbereich ergibt sich bei der kNN Kurve die Tendenz, dass eine höhere Zeitstandfestigkeit als im EN-Standard (600, 650°C) angegeben wird. Ausgehend von dieser künstlichen Schmelze wurden einzelne Merkmalsgrößen (%-Gehalte der Legierungselemente, etc.) gezielt verändert und die damit zusammenhängende Veränderung der Zeitstandbruchkurve dargestellt. Wenn man berücksichtigt, dass der Langzeitbereich >30 kh (mindestens aber 50 kh) nicht ausreichend abgesichert ist, kann man von einer weitgehenden Übereinstimmung mit den Angaben in der Literatur über die Rolle der Elemente im Hinblick auf die sich einstellende Zeitstandfestigkeit ausgehen. Die Auswertung zeigt jedoch auch, dass die Betrachtung einzelner Elemente nicht zufriedenstellend ist, da die Wechselwirkung mit dem unterschiedlichen Gehalt anderer Elemente nicht berücksichtigt wird. Die Verifikation der Modelle mit der Zielgröße Zeitstandfestigkeit erfolgte auf der Basis von experimentellen Daten, die nicht im Datenpool für das Trainieren des kNN enthalten waren.Dabei ergab sich teilweise eine gute Übereinstimmung. Es mussten jedoch auch Fälle festgestellt werden, bei denen das kNN die Zeitstandfestigkeit überschätzte. Dies steht im Zusammenhang mit dem Datenpool: schlechte Voraussagen wurden dann getroffen, weil die Merk-malswerte der zu beurteilenden Schmelze am Rand oder gar außerhalb des Datenbereichs eines einzelnen Merkmals liegen, mit denen das kNN trainiert wurde.

Die Merkmale Härte und Mikrostrukturparameter stehen in einem unmittelbaren Zusamme-hang mit den Merkmalen chemische Zusammensetzung und Wärmebehandlung. Aus diesem Grund wurden hier Einzelbetrachtungen vorgenommen: An 14 Proben des Stahls P91 wurden TEM Untersuchungen durchgeführt und die Mikrostrukturparameter im Probenkopf (rein thermi-sche Beanspruchung) und Schaft (thermische und mechanische Beanspruchung) ermittelt. Es stellten sich bei der Auftragung dieser Parameter über der Bruchzeit erhebliche Streuungen ein, die auch durch Wiederholungsuntersuchungen nicht signifikant eingeschränkt werden konnten. Die Erstellung eines Modells ausschließlich auf der Basis der Mikrostrukturparameter als Rohdaten zeigte besonders bei der Zielgröße Zeitstandbruchzeit eine sehr schlechte Korrelation. In der vorliegenden Form sind die Daten als noch nicht ausreichend zu betrachten. Weitere An-strengungen, z. B. in der Trennung des Einflusses aus thermischer und mechanischer Beanspruchung müssen unternommen werden.

Die Beurteilung der Vorhersagegenauigkeit erfolgte auf Basis der Orr-Sherby-Dorn Methode und der Anwendung der Residuenanalyse. Der schwierigste Teil bei den Untersuchungen besteht in der Bestimmung von Konfidenz-bzw. Vertrauensintervallen der berechneten Modelle. Denn das kNN hat den Nachteil, dass eine Bewertung des Einflusses einzelner Modellparameter (Gewichte) und dass eine Bewertung der Zuverlässigkeit des Ergebnisses nur eingeschränkt möglich ist (z.B. betreffs statistisch gesicherter Vertrauensintervalle).
Diese Schwierigkeiten wurden, wenn auch nur mit Einschränkungen, durch Einsatz anderer Verfahren behoben, wie z.B. durch die Regressionsanalyse, die gegenüber dem kNN z.T. nur wenig schlechtere Resultate ergeben hat, was den Vergleich der betreffenden Korrelationskoeffizienten anlangen. Damit wurde das individuelle Konfidenzintervall für jede Schmelze einzeln berechnet.

Zusammenfassend kann das Ergebnis des Vorhabens wie folgt formuliert werden:
-Im Vergleich mit der Regressionsanalyse schneidet das kNN besser ab;
-Es konnte gezeigt werden, dass das verwendete kNN die unterstellten metallkundlichen Zu-sammenhänge vom Grundsatz her richtig wiedergibt;
-Das kNN ist geeignet Zusammenhänge zwischen der Änderung von Merkmalswerten und der Zeitstandfestigkeit abzubilden;
-Aufgrund der extremen experimentellen Streuungen bei den Zielgrößen Zeitstandbruchdehnung und Streckgrenze bei RT weisen die kNN Modellierungen relativ schlechte Korrelationsfaktoren auf. Die zufälligen Einflüsse bei diesen Merkmalen können vom kNN nicht abgedeckt werden;
-Die Vorhersage von einzelnen Schmelzen auf der Basis vorgegebener Merkmalswerte liefert eingeschränkt gute Ergebnisse, wenn die zu interpretierenden Merkmalswerte quantitativ in der Spannbreite liegen, die vom vorhandenen Datenpool vorgegeben ist;
-Die Absicherung der Langzeitfestigkeit ist nicht ausreichend, die Zuverlässigkeit der kNN B-wertung ist dadurch beeinträchtigt;
-Die Hinzunahme von mittelbaren Merkmalen (Härte, Mikrostrukturparameter) stellt ein Potenzi-al für die Verbesserung der Aussagefähigkeit des kNN dar. Allerdings muss das Problem der großen experimentellen Streuungen und des Einflusses von thermischer und mechanischer Beanspruchung noch gelöst werden. Ferner muss der Datenbestand deutlich erhöht werden.

Forschungsstelle 1:

Materialprüfungsanstalt Uni Stuttgart (MPA) Otto-Graf-Institut
www.mpa.uni-stuttgart.de
 
Forschungsleiter 1:

Prof. Dr.-Ing. habil E. Roos

Forschungsstelle 2:
Institut für Metallformung der TU Bergakademie Freiberg
www.imf.tu-freiberg.de
 
Forschungsleiter 2:

Prof. Dr.-Ing. Prof. E.h. R. Kawalla

(vorgelegt vom Wirtschaftsverband Stahlbau und Energietechnik e.V., Düsseldorf (SET) für Fachverband Dampfkessel-, Behälter- und Rohrleitungsbau e.V. (FDBR))

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF