A135

Beschreibung des Verformungs- und Festigkeitsverhaltens von Komponenten im Kriechbereich unter instationärer Beanspruchung


(A135 S 24/06/98)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Januar 1999 – 31. Dezember 2001

Der Beanspruchungsverlauf in Turbinenwellen kann charakterisiert werden durch einen stationären Betrieb im Kriechbereich und eine begrenzte Anzahl von An- und Abfahrten. Der Werkstoff unterliegt dabei komplexen mechanischen und thermischen Beanspruchungen.

Im stationären Betrieb ändert sich der mehrachsige Spannungszustand infolge zeitabhängiger Verformungsvorgänge, wobei die Spannungsspitzen deutlich reduziert werden. Durch An- und Abfahrten wird der Spannungszustand des stationären Betriebs gestört. Während der An- und Abfahrten kann eine zusätzliche Plastifizierung des Werkstoffs auftreten. Daneben tritt eine Ermüdungsschädigung auf, die das nachfolgende Kriechen negativ beeinflusst. Für den weiteren Betrieb hat dieses gegenüber einer Fahrweise ohne Lastände-rungen einen veränderten Spannungszustand und abweichendes Kriechverhalten zur Folge. Zur Beschreibung des Verformungs- und Versagensverhaltens von Turbinenwellen sind auf Kriechgleichungen basierende konventionelle Berechnungsansätze ungeeignet, da diese die Wechselwirkung zwischen Kriechen und Ermüden sowie deren Gesamtwirkung auf das Verformungs- und Versagensverhalten nicht erfassen.

Einen Ausweg bieten viskoplastische Werkstoffmodelle an, welche nicht zwischen zeitunab-hängiger Plastifizierung und zeitabhängigem Kriechen unterscheiden, sondern alle Beiträge zur bleibenden (inelastischen) Dehnung durch übergeordnete Formulierungen beschreiben. Die Ab- und Anfahrten von Turbinen sind dem LCF-Bereich zuzuordnen, in dem eine zyklische Plastifizierung auftreten kann. Durch die Vereinheitlichung der zeitunabhängigen und zeitabhängigen bleibenden Dehnungen können die Wechselwirkungen zwischen Kriechen und Ermüden erfasst werden.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es ein derartiges viskoplastisches Werkstoffmodell zu ertüchtigen und zu verifizieren, welches das Verformungs- und Versagensverhalten für die mehrachsige Kriechermüdungsbeanspruchung von Turbinenwellen für typische Dampfturbinenwerkstoffe beschreibt.

Hierzu wurden für die Versuchswerkstoffe 30CrMoNiV5-11, X12CrMoWVNbN10-1-1 und Alloy 706 für werkstoffcharakteristische Anwendungstemperaturen von 550 bzw. 600 0C Kriechermüdungsversuche an Hohlzylinderproben durchgeführt. Dabei wurden die Proben einer über der Zeit veränderlichen kombinierten Beanspruchung unterworfen, die einem aus der Praxis abgeleiteten Beanspruchungszyklus entspricht. Die Proben versagten früher, als durch eine lineare Überlagerung von Erschöpfungsanteilen für Kriechen und Ermüden abgeschätzt wurde. Die Formulierungen zur Beschreibung der Kriechschädigung bewirken in der Modellierung eine mit zunehmender Schädigung ansteigende inelastische Dehnungsgeschwindigkeit.

Zur Beschreibung des Verformungs- und Schädigungsverhaltens wurde ein elastisch- viskoplastisches Werkstoffmodell ertüchtigt, das in den FE-Code ABAQUS implementiert
wurde. Da das Kriechen für niedrige Beanspruchung vorwiegend diffusionsgesteuert, für hohe Lasten dagegen versetzungsgesteuert ist, wurden zur besseren Beschreibung des Kriechverhaltens zwei inelastische Dehnraten modelliert. Dabei ergibt die Summe der beiden inelastischen Dehnraten die Kriechgeschwindigkeit. Das Festigkeitsänderungsverhalten des Werkstoffs unter statischer und zyklischer Beanspruchung wird in der Modellierung durch kinematische und isotrope Variablen erfasst. Zusätzlich enthält das Modell zwei Schädigungsparameter zur Beschreibung der Kriech- und Ermüdungsschädigung. Diese können zur Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Zeitstand- und Ermüdungsschädigung nichtlinear überlagert werden, wodurch die gesamte schädigende Wirkung auf das Verformungs- und Versagensverhalten besser beschrieben wird.

Die Ermittlung der Modellparameter erfolgte durch Anpassung an eine umfangreiche Werkstoffdatenbasis, bestehend aus Warmzug-, Ermüdungs- und Zeitstandversuchen.

Mit dem für die Werkstoffe 30CrMoNiV5-11 und X12CrMoWVNbN10-1-1 angepassten Werkstoffmodell wurden die mehrachsigen Kriechermüdungsversuche nachgerechnet. Dabei konnten die Verformungsverläufe der Kriechermüdungsversuche für die beiden Werkstoffe gut bis zum Erreichen des tertiären Kriechbereichs unter Verwendung der Vergleichsspannungshypothese nach von Mises beschrieben werden. Der Zeitpunkt des tertiären Kriechens und des Versagens wurde zunächst unbefriedigend wiedergegeben.

Durch eine stärkere Berücksichtigung des Einflusses der Ermüdungsschädigung auf das nachfolgende Kriechverhalten konnte auch das tertiäre Kriechen der Kriechermüdungsversuche gut erfasst werden. Mit einer erweiterten Schädigungsbetrachtung konnte das Versagensverhalten mit einer Abweichung von 10% zum Experiment berechnet werden.

Das Modell kann in der Auslegungs- und Erschöpfungsberechnung als wichtiges numerisches Werkzeug im Rahmen von Finite-Elemente-Berechnung, z.B. zur Bauteiloptimierung, der Festlegung einer geeigneten Fahrweise oder von Revisionsintervallen sowie der Identifizierung von kritischen Bereichen im Bauteil, dienen.

Darüber hinaus kann das Werkstoffmodell zur Gestaltoptimierung verwendet werden. Dabei ist von Interesse, dass das Bauteil seine Zielfunktion erfüllt und gleichzeitig durch eine bessere Werkstoffausnutzung der Materialbedarf reduziert bzw. eine längere Lebensdauer erreicht werden kann.

Durch die Einführung von temperaturabhängigen Parametern kann das Werkstoffmodell für nicht isotherme Anwendungen erweitert werden.

Für Werkstoffe, die bereits in einem frühen Stadium des tertiären Kriechens zu einer nichtisotropen Porenschädigung in Abhängigkeit der maximalen Hauptspannung neigen, sind erweiterte Schädigungsansätze erforderlich.

Das entwickelte Werkstoffmodell kann weiterhin bei Anpassung der entsprechenden Modellparameter zur Simulation des Verformungs- und Versagensverhaltens einer Vielzahl von Werkstoffen und Werkstoffkombinationen einschließlich Schweißverbindungen eingesetzt werden. Dabei können zyklisch ver- und entfestigende Werkstoffe beschrieben werden. Zur Simulation von Schweißverbindungen müssen dann die verschiedenen Werkstoffzustände, Grundmaterial, verschiedene Gefüge der Wärmeeinflusszone und das Schweißgut berücksichtigt werden.

Forschungsstelle 1:
Materialprüfungsanstalt Uni Stuttgart (MPA) Otto-Graf-Institut
www.mpa.uni-stuttgart.de
 
Forschungsleiter 1:
Prof. Dr.-Ing. habil E. Roos
(vorgelegt vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., VDMA, Frankfurt

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF