A090

Werkstoffeinsatz und Bauteilbewertung auf der Basis schädigungsmechnischer Konzepte



(A090 S 24/09/95)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Juli 1995 – 30. Juni 1998

Die hohen Anforderungen an Verfügbarkeit und Gebrauchssicherheit moderner Bauteile und Anlagen des Maschinenbaus einerseits sowie an einen wirtschaftlichen Werkstoffeinsatz andererseits erfordern den Einsatz entsprechend fortgeschrittener Verfahren der Werkstoffcharakterisierung und Konzepte der Bauteilbewertung. Konventionelle Werkstoffprüfungen wie Zugversuch und Kerbschlagbiegeversuch erlauben im Wesentlichen die vergleichende Ermittlung von Festigkeits- und Zähigkeitskennwerten an Proben aus homogenem Werkstoff. Der Einfluß lokal oder zeitlich veränderlicher Werkstoff- und Beanspruchungszustände als Folge konstruktiver Gestaltung, Fertigung und Betrieb können nur qualitativ durch Sicherheitsaufschläge berücksichtigt werden. Für einfache Strukturen mit Fehlern liefert die Bruchmechanik einen quantitativen Ansatz, aber Bruchmechanikversuche sind aufwendig und teuer und erfordern Materialmengen, d.h. Abmessungen des Halbzeugs, die häufig nicht verfügbar sind.

Auf komplexere Bauteil-, Werkstoff- und Beanspruchungssituationen wie Schweißverbindungen und Werkstoffgradienten infolge Oberflächenbehandlung unter Betriebsbedin gungen sind die bisherigen Konzepte jedoch mangels gesicherter Übertragbarkeitskriterien nur eingeschränkt anwendbar; gestützt auf Erfahrung und einzelne aufwendige Bauteilversuche liefern sie häufig nur unwirtschaftlich überkonservative Abschätzungen. wünschenswert sind jedoch realistische Vorhersagen von Gebrauchssicherheit und Lebensdauer auch unter Einschluß möglicher Eigenschaftsänderungen der Werkstoffe unter Betriebsbedingungen (Alterung), die eine Quantifizierung der tatsächlich vorhandenen Abstände zum Versagen erlauben.

Neben der Charakterisierung der Eigenschaften vorhandener Werkstoffe als Teil des Bauteilbewertungskonzepts ist auch die gezielte Werkstoffoptimierung für vorgegebene Einsatzbedingungen von hohem wirtschaftlichen Interesse. Hierzu sind vertiefte Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen der Mikrostruktur eines Werkstoffes und seinen Festigkeits- und Zähigkeitseigenschaften erforderlich.

Neue Ansätze der Werkstoffbeschreibung auf der Grundlage mikrostrukturorientierter Modelle sind heute verfügbar. Sie können in enger Verbindung von Prüftechnik mit numerischen Simulationen zur Identifikation von neuen, das schädigungsmechanische Verhalten beschreibenden Materialparametern genutzt werden. Über numerische Strukturmodelle können dann örtliche Beanspruchungszustände erfaßt und das globale Verformungs- und Versagensverhalten für zunehmend komplexere Proben- und Bauteilgeometrien und Belastungsbedingungen vorhergesagt werden. Daraus ergab sich als wissenschaftlich technische Aufgabenstellung für das Forschungsvorhaben:

Erarbeitung von Methoden und Werkzeugen für eine schädigungsmechanisch begründete Bauteilbewertung und Aufbereitung für ingenieurmäßige Anwendungen. Hierzu sollten vorhandene und in anderen Technikbereichen schon erprobte Ansätze auf ausgewählte Maschinen-Bauteile mit (in der ersten Stufe) duktilem Werkstoffverhalten angewandt, weiterentwickelt und verifiziert werden. Die aus Vergleich und Anpassung von Numerik und Experiment abgeleitete Werkstoffbeschreibung und -Modellbildung sollte auch auf metallographische und fraktographische Untersuchungen gestützt werden; der Einfluß von Werkstoff- und Beanspruchungsparametern auf das Bauteilverhalten ohne und mit Fehlern sollte durch systematische Variationen an numerischen Strukturmodellen untersucht und so ein fortgeschrittenes Bauteilbewertungskonzept entwickelt werden.

Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag bei duktilem Versagen, welches gut mit einem Materialmodell nach Gurson in der von Tvergaard und Needleman weiterentwickelten Form, (GTN-Modell) beschrieben wird. Dieses Modell basiert auf den wesentlichen Mechanis men duktiler Schädigung, nämlich der Bildung nach Hohlräumen an Einschlüssen, ihrer Erweiterung mit zunehmender Beanspruchung und letztlich ihrem Zusammenwachsen, das mit der Bildung eines makroskopischen Risses bzw. seiner Erweiterung einhergeht. Das Modell enthält Parameter, die sämtlich eine mikrostrukturelle Bedeutung besitzen wie z.B. das anfänglich vorhandene Porenvolumen fO, und das Volumen der hohlraumbildenden Einschlüsse fN.

Über die beschriebene "phänomenologische" Methode hinaus wurde großer Wert auf die physikalische Interpretation der benutzten Parameter gelegt. Es ist dabei in allen Fällen gelungen, die meist aufwendigen metallographischen und fraktographischen Befunde mit den Parametern des Modells zu identifizieren, bzw. "gute" Modellparameter zu finden, die mit den Befunden übereinstimmen.

Die Parameter des GTN-Modells sind im Prinzip direkt auf beliebige Bauteilsituationen übertragbar. Die Vorteile liegen in der guten Beschreibung der Geometrie- und Constrainteinflüsse. Dies wurde besonders im Fall austenitischen Heines Rohrleitungswerkstoffs deutlich. Nachteile liegen derzeit noch im hohen Rechenzeitverbrauch, der sich aus der Forderung nach meist dreidimensionalen Modellierungen mit großer Netzverfeinerung in den Rißbereichen ergibt. Daher wird häufig der Weg beschritten, die GTN-Parameter zunächst auf "fiktive" Bruchmechanikproben anzuwenden, um auf diese Weise "synthetische" Initiierungswerte bzw. Rißwiderstandskurven zu ermitteln. Die tatsächliche Durchführung normgerechter Versuche ist dann nicht erforderlich. Wie am Beispiel einer austenitischen Rohrleitung gezeigt werden konnte, können  sehr realistische Aussagen getroffen und unnötige Konservativitäten vermieden werden.

Für die Bauteilbewertung ergeben sich drei Wege zunehmender Aussageschärfe und Komplexität:

Aus standardisierten Zugversuchen bzw. Kerbschlagebiegeversuchen werden mechanischtechnologische Kennwerte wie RpO,2, Rm, A5, Z oder Av ermittelt. Eine für viele Anwendungen ausreichende Bauteilbemessung bzw. -bewertung kann beispielsweise auf der Basis einer zulässigen Spannung erfolgen.

Mit Hilfe der Bruchmechanik können reale oder hypothetische Fehler in Bauteilen bewertet werden. Dabei werden bruchmechanische Beanspruchungsgrößen, die aus den singulären Spannungs-Dehnungsfeldern an den belasteten Rißfronten abgeleitet sind, mit entsprechenden Materialkennwerten verglichen. Für spröde Materialien sind dies der Spannungsintensitätsfaktor KI und die Bruchzähigkeit KK, die mittels Bruchmechanikproben unter Einhaltung von Bedingungen (ASTM E399-92) gemessen wird.

Bei der Schädigungsmechanik (hier für duktiles Rißverhalten) werden Werkstoffmodelle eingesetzt, die neben der Verfestigung durch plastische Deformationen auch die Entfestigung durch Schädigungsprozesse berücksichtigen. Sie heben die künstliche Trennung von "klassischer" Festigkeitslehre und Bruchmechanik, d.h. der Unterscheidung der Werkstoffeigenschaften "Festigkeit" und "Zähigkeit" zugunsten eines einheitlichen Konzeptes auf, bei dem der Werkstoff zusätzlich zu seinen konventionellen Festigkeitseigenschaften wie Streckgrenze, Fließkurve, Zugfestigkeit durch weitere, das Schädigungsverhalten beschreibende Parameter charakterisiert wird. Die Parameter werden experimentell aus vollständigen Zugversuchen zur Bestimmung wahrer Spannungs-Dehnungskurven (in der Regel mit Messung der Einschnürung) und aus Bruchmechanikversuchen ermittelt.

Mit Hilfe der numerischen Simulation können die schädigungsmechanischen Kennwerte prinzipiell auf zwei Arten auf Bauteile übertragen werden:

I Auf der Grundlage der mikromechanischen Werkstoffparameter läßt sich durch numerische Simulation das Verhalten von Bruchmechanikproben vorhersagen; damit können "synthetische" Bruchmechanikkennwerte bzw. -kurven ermittelt werden. Da für die Bestimmung der mikromechanischen Werkstoffparameter Versuche an kleinen Proben ausreichen, können auch Materialien bewertet werden, von denen nur kleine Volumina verfügbar sind, bzw. es können Werkstoffgradienten und Orientierungseinflüsse, wie sie z.B. in der WEZ von Schweißverbindungen auftreten, charakterisiert werden.

I Die mikromechanischen Werkstoffparameter können direkt auf Bauteile übertragen werden. Damit kann das Bauteilverhalten unter Betriebsbedingungen beschrieben und damit hinsichtlich Gebrauchssicherheit und Lebensdauer bewertet werden. Obwohl diese direkte Anwendung der schädigungsmechanischen Kennwerte auf Bauteile mit einem sehr großen numerischen Aufwand verbunden ist, läßt sich damit der größte Gewinn an Aussageschärfe erzielen.

Forschungsstelle 1:
Fraunhofer Institut für Werkstoffmechanik (IWM)
www.iwm.fhg.de
 
Forschungsleiter 1:
Professor Dr. E. Sommer
(vorgelegt vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. – VDMA für FKM)

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF