A078

Kriechrissverhalten ausgewählter Kraftwerksstähle in erweitertem, praxisnahen Parameterbereich


(A078 S 24/17/93)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Juli 1994 – 31. März 1998

Die Haltbarkeit zeitstandbeanspruchter Bauteile von Kraftwerken und anderen Hochtemperaturanlagen hängt in vielen Fällen vom Werkstoffverhalten an konstruktiv nicht vermeidbaren Kerben, rissartigen Fehlern oder anderen Ungänzen ab. Die an diesen Spannungskonzentrationsstellen bei praxisnahe niederen Spannungen und entsprechend langen Beanspruchungsdauern durch Kriechbeanspruchung mögliche Einleitung von Rissen und deren Fortschritt bedürfen einer quantitativen Beschreibung, um die Wirtschaftlichkeit der Hochtemperaturbauteile durch eine höhere Werkstoffausnutzung steigern und gleichzeitig oder alternativ die Betriebsdauer und die Wartungsintervalle verlängern zu können. Generell ist das Kriechrisseinleitungs- und  Kriechrissfortschrittsverhalten abhängig von Geometrie und Größe des Bauteils einschließlich seiner Riss-, Kerb- bzw. Fehlergeometrie, ferner von Höhe, Art und Dauer der mechanischen und thermischen Beanspruchung sowie vom Werkstoffzustand und dessen möglicher Veränderung bei Langzeitbeanspruchung. Die Kriechbruchmechanik, die von der linearelastischen und der elastoplastischen Bruchmechanik unter Berücksichtigung des Kriechverhaltens abgeleitet wurde, bietet die Möglichkeit, das Kriechrisseinleitungs- und Kriechrissfortschrittsverhalten einparamerisch zu beschreiben. Daneben gibt es auch ein zweiparametrisches Zweikriterienverfahren, um auf der Basis einfacher elastischer vollplastischer Kenngrößen das Kriechrisseinleitungsverhalten abzuschätzen.

Aufgabe dieses Forschungsvorhabens war es, die Kriechdaten einiger besonders wichtiger Kraftwerksstähle der Typen 1 % CrMoNiV und 12 % CrMoV unter praxistypisch niedriger Langzeitbeanspruchung in Fortführung früherer Arbeiten zu vervollständigen. Eine entsprechende Datanbasis sollte für einen modernen martensitischen Hochleistungsstahl des Typs 10 CrMoWVNb geschaffen werden. In die Experimente waren Proben unterschiedlicher Form und Größe bei unterschiedlichen Beanspruchungen einzubeziehen, um bauteilrelevante Aussagen in einem breiten Parameterbereich zu gewinnen. Die experimentellen Kriechrißergebnisse waren in industriell nutzbare Beschreibungen des Kriechrisseinleitungs- und Kriechrissfortschrittsverhaltens umzusetzen, wobei die Gültigkeitskriterien für die bevorzugten Kriechbruchmechanikparameter Spannungsintensität KI  und Belastungsparameter C* zu beachten waren. Zusätzlich war bei der Nutzung des Zweikriterienverfahrens neben dem Parameter KI ein Nennspannungsparameter mit einzubeziehen.

Das Kriechrisseinleitungs- und Kriechrissfortschrittsverhalten einiger warmfester Stähle für Kraftwerke und thermische Anlagen wurde in einem weiten Parameterbereich untersucht. Hierzu wurden Proben unterschiedlicher Geometrie aus den Schmiedestählen 30 CrMoNiV 4 11, 217am/AMA, 28 CrMoNiV 4 9, 216k/AGB und X 22 CrMoV 12 1, 220ta/AMB sowie aus dem Rohrleitungsstahl X 20 CrMoV 12 1, 220ta/AMD bei 550oC Prüftemperatur geprüft und außerdem Proben aus dem Schmiedestahl X 12 CrMoWVNbN 10 1 1, 220bx/AXN bei 550 und 600oC. In allen Fällen erfolgte die Probenentnahme aus industriell hergestellten Kraftwerksbauteilen mit hinreichender Homogenität der Zeitstandeigenschaften. Die Proben hatten überwiegend erodierte Rissstartkerben mit einem Spitzenradius von 0,1 mm. Zum Vergleich wurden aber auch einige Proben mit angeschwungener Rissstartkerbe geprüft, die zu vergleichbaren Ergebnissen führten. Zusätzlich lag das Zeitstandverhalten der Versuchswerkstoffe aus bis zu 75 000 h Dauer reichenden konventionellen Zeitstandversuchen an glatten und gekerbten Rundproben vor oder wurde ergänzend ermittelt. Es befand sich bei allen Stählen im Rahmen der Angaben aus Werkstoffnormen und Werkstoffblättern. Aus dem Zeitstandverhalten ließen sich Kriechbeschreibungen aufstellen, die als Grundlage für die kriechbruchmechanischen Auswertungen der Kriechrissversuche benötigt wurden.

Eine erste Hauptaufgabe des Vorhabens war die langzeitige Weiterführung und Ergänzung von Kriechrissversuchen an den 1% CrMoNiV- und 12% CrMoV-Stählen aus zwei vorangegangenen Vorhaben sowie die erstmalige Durchführung solcher Versuche an dem modernen martensitischen Hochleistungsstahl vom Typ 10% CrMoWVNb. Besonderer Wert wurde auf die Ermittlung des Kriechrissverhaltens im Bereich praxisnahe niederer Beanspruchungen und Kriechrissgeschwindigkeiten gelegt, wobei Proben unterschiedlicher Form und Größe unter konstanter Belastung geprüft wurden. Die wichtigsten Versuchsergebnisse waren die Kriechrissgeschwindigkeit  a, die Lastangriffspunktverschiebegeschwindigkeit v sowie die durch Überschreitung einer kritischen Kriechrisslänge definierte Risseinleitungsdauer tA für technischen Anriss.

Im Hinblick auf die Auswertung der Versuchsergebnisse wurden die Gültigkeitskriterien zusammengestellt, die bei den benutzten Kriechbruchmechanikparametern zu beachten sind. Es handelt sich im Wesentlichen um das Übergangszeit- (t1-)Kriterium für Gültigkeit des Parameters KI oder C*, um ein Rissspitzenaufweitungs-(dt-)Kriterium für Gültigkeit des Parameters C* und um ein Nahfeld-Fernfeld-Beanspruchungsverhältnis V = KI /sn für die Anwendung des Parameters KI.

Eine zweite Hauptaufgabe des Vorhabens war die Beschreibung des Kriechrisseinleitungsverhaltens. Hierfür wurde neben einer Darstellung der Risseinleitungsdauer tA in Abhängigkeit vom Parameter C2* vor allem das auf eine Nennspannung und den Parameter KI bezogene Zweikriterienverfahren herangezogen. Die in den entsprechenden Zweikriteriendiagrammen  für Kriechrisseinleitung festgelegten Grenzkurven bestätigten sich für Kleinproben und sind für Großproben konservativ, wobei die Grenzlinie für Rissspitzenversagen bei zähen Stählen erhöht werden konnte. Durch eine Eliminierung der kleineren DENT-Proben mit einem Verhältnis von V< 3 ließ sich eine beträchtliche Verminderung der Streubandbreite erzielen. Das Verfahren ist auf den linearelastischen Spannungsintensitätsfaktor KI bezogen, der hier auch als fiktividealisierter Wert KI id bezeichnet wird, und außerdem auf eine bei zähen Werkstoffen für vollplastische Spannungsverteilung im Ligament gültige Nennspannung sn pl. Das Verfahren ist damit relativ leicht übertragbar und von besonderem Interesse für die industrielle Anwendung.

Eine dritte Hauptaufgabe des Vorhabens war die Beschreibung der Kriechrissgeschwindigkeit a. Diese wurde in Abhängigkeit von den Parametern KI und C* untersucht. Der Parameter C* wurde dabei wieder in der Version C2* unter Berücksichtigung der gemessenen Lastangriffspunktverschiebegeschwindigkeit herangezogen. Die Beschreibung mit dem Parameter KI führte bei den 550oC untersuchten Stählen zu relativ breiten Streubändern, wobei sich die Ergebnisse für unterschiedliche Probengeometrie und Nennspannung häufig nicht decken und außerdem meist nicht parallel zum Gesamtstreuband verlaufen. Mit zunehmender Probengröße werden generell kleinere Kriechrissgeschwindkeitswerte beobachtet und mit abnehmender Anfangsnennspannung, also zunehmender Beanspruchungsdauer größere Kriechrissgeschwindigkeitswerte. Auch aufgrund des Übergangszeitkriteriums erscheint der Parameter KI in den untersuchten Fällen zur Beschreibung der 550oC-Kriechrissgeschwindigkeit weniger geeignet als der Parameter C*. Aufgrund seiner einfachen Berechenbarkeit bleibt aber die Anwendung des Parameters KI auch hier von industriellem Interesse. Dabei muß allerdings eine Übertragung auf größere aber geringer beanspruchte Bauteile durch einen Sicherheitsabstand abgedeckt werden. Auch hier ist es ähnlich wie beim Zweikriteriendiagramm für Kriechrisseinleitung möglich, die Streubandbreite durch Eliminieren der Ergebnisse an kleinen DENT-Proben zu vermindern und Bauteile mit entsprechenden Risskonfigurationen durch die 1 %-Zeitdehngrenzen gegen Kriechrissversagen abzusichern. Die Auftragung der Kriechrissgeschwindigkeit

über dem Kriechbruchmechanikparameter C2* führte bei den Ergebnissen der 550oC-Versuche zu schmaleren Streubändern als bei Anwendung des Parameters KI. Die Einzelergebnisse verlaufen vorwiegend parallel zum Gesamtstreuband und es werden nur relativ schwache Einflüsse der Probenform und -größe beobachtet, was eine gute Absicherung der Streubandobergrenze hinsichtlich größerer Bauteile und kleinerer Nennspannungen erlaubt.

Forschungsstelle 1:

Institut für Werkstoffkunde der Technischen Universität Darmstadt (lfW)
www.tu-darmstadt.de/mpa-ifw
 
Forschungsleiter 1:
Frau Prof. Dr.-Ing. C. Berger / Prof. Dr.-Ing. habil. E. Roos
(vorgelegt vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. – VDMA für FKM)

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF