A 313 - Kurzfassung des Schlussberichts

Grenzen des Drahtziehens von gezogenen unlegierten Kohlenstoffstählen ohne Bleibadpatentierung

Zusammenfassung des Abschlussberichtes zum Forschungsprojekt

Grenzen des Drahtziehens von gezogenen unlegierten Kohlenstoffstählen ohne Bleibadpatentierung

(Projekt A 313 / S0024/10256/19)

Laufzeit der Forschungsarbeiten:  01. Juli 2019 bis 31. Dezember 2022

Hochfester patentiert gezogener Stahldraht wird weiterverarbeitet z.B. zu technischen Federn, zu Polsterfedern, Seilen und Reifeneinlegedraht. Das Ausgangsmaterial für diesen hochfesten Stahldraht ist Walzdraht. Nach einer Vorbehandlung des Walzdrahtes wird dieser in mehreren Schritten auf den geforderten Nenndurchmesser gezogen. Der Ziehvorgang beeinflusst maßgeblich die Eigenschaften der Drähte sowie die Wirtschaftlichkeit ihrer Herstellung. Die Abnahme des Drahtquerschnitts um bis zu 95% und mehr geht mit einer massiven Erhöhung der Festigkeit und einer Abnahme der Duktilität einher. Aufgrund des Ziehprozesses ist patentiert-gezogener Stahldraht kaltverfestigt, somit in starkem Maß eigenspannungsbehaftet und deswegen, sowie aufgrund der entstehenden Textur, weder homogen noch isotrop.

Spätestens nach einer 90-95%-igen Querschnittsreduzierung ist für eine weitere Verringerung des Drahtdurchmessers eine Zwischenpatentierung, z.B. eine Bleibadpatentierung notwendig. Durch diese Bleibadpatentierung wird wiederum ein ziehfähiges Gefüge im Drahtmaterial eingestellt. Dieses Zwischenpatentieren ist für die Drahthersteller ein sehr teurer und zeitaufwendiger Arbeitsgang. Daraus und auch wegen Umweltaspekten resultiert das Bestreben, nach Wegen zu suchen, Draht auch ohne Zwischenpatentieren herzustellen. Deswegen war es Ziel dieses Projektes, die Veränderung der Ziehfähigkeit des Drahtes in Abhängigkeit von der Variation der Ziehprozessparameter zu untersuchen.

Hauptziel war die Herstellung von (luft-)patentiert gezogenem Draht mit d = 1 mm ohne Zwischenpatentierung (Kostenreduzierung), das entspricht einem Umformgrad von 3,4. Weiterhin war die Ermittlung erreichbarer Umformgrenzen (für Federstahldraht und Seildraht) und realisierbarer Ziehgeschwindigkeiten bei hochfesten Drähten mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,48…0,82% ohne Zwischenpatentierung Ziel des Projektes. Die mittels FE-Simulation bestimmten Spannungs- und Dehnungszustände wurden als Eingangsdaten für makromechanische Schädigungsmodelle genutzt, die im Rahmen des Projektes untersucht werden sollten.

Die Bearbeitung des Projektes erfolgte auf zwei Wegen: mittels zahlreicher Drahtziehversuche auf experimentellem Weg und per Finite-Elemente-Simulation.

Bei den Experimenten wurden Drähte mit drei verschiedenen Kohlenstoffgehalten, mit jeweils fünf verschiedenen Ziehfolgen auf verschiedenen Ziehmaschinen von 5,5mm auf 1,0mm gezogen. An den von jeder Drahtziehstufe abgenommenen Probedrähten wurden neben Zug‑ und Torsionskennwerten auch Hin‑ und Herbiegezahlen ermittelt. Neben lichtmikroskopischen Gefügeuntersuchungen wurden auch REM-Aufnahmen, Mikrostrukturanalysen und Makroeigenspannungsuntersuchungen sowie die Schichtgewichte von Oberflächenrückständen bei der Analyse der Drahtproben berücksichtigt. Weiterhin wurden Proben von den Drähten entnommen, die, mit unterschiedlichen Ziehgeschwindigkeiten gezogen, auf den Spulen aufgewickelt wurden (Fertigdrähte). Neben den bereits genannten Untersuchungen wurden an diesen Drähten zusätzlich Versuche zur Bestimmung der Gleichmäßigkeit und des Reibwertes im Durchlauf sowie Umlaufbiegeversuche durchgeführt. Während der Drahtziehexperimente wurde an jeder Stufe der Ziehmaschine die Ziehkraft sowie die Drahttemperatur direkt nach dem Ziehstein und bei Verlassen der Ziehscheibe, also vor dem Einlaufen in die nächste Ziehstufe, gemessen.

Die zweite Bearbeitungsrichtung beinhaltete die Simulation des Drahtziehprozesses mittels Finite-Elemente-Methode (FEM). Dafür wurde ein FE-Modell entwickelt, welches die Umformung des Drahtes in den Ziehsteinen nachbildet. Weiterhin erfolgte die Entwicklung von Materialmodellen für den gesamten Umformgrad für die verwendeten Drahtmaterialien. Grundlage dafür waren die im Zugversuch ermittelten Kennwerte der Drähte, die von jeder Ziehstufe entnommen wurden. Diese Modelle wurden zur Simulation der Drahtziehfolgen genutzt. In die Auswertung der Simulation wurden außerdem Gleichungen zur Berechnung der Schädigung nach Cockroft bzw. nach Ayada, getrennt für die Drahtmitte und den Drahtrand, integriert. Die Schädigung nach Cockroft steigt bei allen Drahtmaterialien und Ziehfolgen sowohl am Drahtrand, als auch in der Drahtmitte mit zunehmendem Umformgrad an und ist in der Drahtmitte größer als am Drahtrand. Daher wird diese für die Bewertung des Drahtziehens empfohlen.

Die bei der Simulation auftretenden Umformkräfte und Temperaturen wurden zur Validierung mit den gemessenen Größen verglichen. Die Ziehkräfte aus der Umformsimulation weichen weniger als 5% von den gemessenen Werten der Ziehkräfte, mit Ausnahme der letzten beiden Ziehstufen, ab. Die Abweichungen zwischen berechneten (Zugkraftgleichung nach Siebel) und gemessenen Ziehkräften liegen im Mittel zwischen 5-10%.

Die Auswertung der Kennwerte aus den Zugversuchen zeigt, dass die Zugfestigkeit nahezu unabhängig von der Ziehfolge ist. Sie wird hauptsächlich vom Kohlenstoffge­halt und von der Gesamtquerschnittsabnahme bestimmt. Auch die Variation der Ziehstufenanzahl führt nicht zu signifikanten Veränderungen. Ebenso hat die Ziehgeschwindigkeit keinen signifikanten Einfluss auf die ermittelten mechanischen Kennwerte der Drähte. Die Untersuchungen zu den verschiedenen Ziehfolgen haben zu überraschend geringen Unterschieden in den Drahteigenschaften geführt. Das ermöglicht eine neue Denkweise für die Auslegung von Ziehfolgen. Die Kühlung hat einen großen Einfluss im Drahtziehprozess, speziell bei sehr hohem Kohlenstoffanteil.

Die experimentellen Drahtuntersuchungen wurden auch genutzt, um Schädigungsmerkmale festzulegen. Ein Schädigungsmerkmal war das Unterschreiten von Normkennwerten, die die notwendige Mindestumformbarkeit der hochfesten Stahldrähte gewährleisten sollen: Verwindezahl, Hin- und Herbiegezahl und Brucheinschnürung. Ergänzend dazu wurden das Auftreten von Mehrfachbrüchen und Anrissen im Torsionsversuch und die Änderung der Mikrostruktur als Schädigungsmerkmale verwendet.

Für alle Ziehversuche lässt sich eine Reihenfolge ableiten, in welcher die Schädigungsmerkmale in Abhängigkeit vom Umformgrad auftreten: zuerst treten Mehrfachbrüche im Torsionsversuch auf, bei größeren Umformgraden ist das Entstehen von Anrissen im Torsionsversuch zu beobachten und bei noch größeren Umformgraden unterschreitet die Verwindezahl den Normwert 25 für Federstahldrähte (DIN EN 10270-1). Bei weiter zunehmender Umformung wird dann auch die geforderte Brucheinschnürung im Zugversuch unterschritten. Die Änderung der Mikrostruktur konnte nicht bei allen Ziehfolgen festgestellt werden. Aus diesen Untersuchungen lassen sich für jedes Schädigungskriterium kritische Schädigungswerte am Drahtrand und in der Drahtmitte abschätzen. Es konnte also eine Korrelation hergestellt werden zwischen den berechneten duktilen Schädigungswerten aus der FEM-Simulation mit den technologischen Eigenschaften des Drahtes im Hinblick auf übliche Kriterien für die Eignung von Federdraht. Dies erlaubt erstmals, Ziehfolgen in Hinsicht auf die Schädigung zu optimieren und damit Kosten und Energieeinsatz in der Drahtfertigung zu senken.

In einer zweiten Projektphase wurden für eine festgelegte Ziehfolge an einer Ziehstufe mit mehr als 90% Gesamtquerschnittsabnahme vier Ziehsteinparameter in der Simulation des Drahtziehprozesses systematisch variiert und die Schädigungen ermittelt. Aus den Ergebnissen sind Ziehsteingeometrien abgeleitet worden, die in der Simulation zu kleinsten bzw. größten Schädigungen, jeweils am Drahtrand und in der Drahtmitte führten. Diese Ziehsteine wurden dann hergestellt und damit Drahtziehexperimente durchgeführt. Im Ergebnis dieser Simulationen konnten erstmals in dieser Komplexität Zusammenhänge abgeleitet werden, die die Auswirkungen der verschiedenen Parameter der Ziehsteingeometrie auf die Ziehkraft, die Schädigungen an Drahtrand und ‑mitte sowie auf die Eigenspannungen in Rand und Mitte aufzeigen.

Weiterhin wurde sowohl per Simulation als auch experimentell der Einfluss von sehr geringen Einzel-Querschnittsabnahmen untersucht. Diese geringen Einzel-Querschnittsabnahmen verursachen eine Veränderung der Eigenspannungsverteilung über dem Drahtquerschnitt und führen zu einer Verringerung des Schädigungsanstiegs in der Drahtmitte sowie am Drahtrand (bezogen auf einen Referenzdraht). Das Anrissverhalten im Torsionsversuch korreliert mit dem simulierten Schädigungsanstieg. Durch eine sehr geringe Einzel-Querschnittsabnahme kann erreicht werden, dass ein zuvor im Torsionsversuch angerissener Draht nicht mehr anreißt.

Daneben konnten folgende Erkenntnisse erzielt werden: Im Zusammenhang mit dem Energiemanagement spielt das Erfassen der aktuell benötigten Ziehkraft bzw. des Drehmoments an jeder Ziehstufe eine wichtige Rolle. Dazu gab es im Projekt einige Anregungen. Die Temperaturmessung mittels IR-Kamera bietet deutliche Vorteile im Vergleich zu Temperaturmessungen mittels Pyrometer oder einfacher IR-Messpistole. Beim genormten Hin‑ und Herbiegeversuch variiert die Dehnung während der Biegung aufgrund gestufter Biegezylinder. Das beeinflusst in starkem Maß die erreichbare Biegezahl. Deswegen wurde ein Versuchsstand konstruiert, bei dem eine konstante Dehnung für Drahtdurchmesser von 0,8mm bis 4,0mm eingestellt werden kann.

Die Experimente haben vorhandene Kenntnisse bestätigt und das technische Wissen erweitert.

Forschungsstelle:

TU Ilmenau, Institut für Maschinen- und Gerätekonstruktion (IMGK), Fachgebiet Maschinenelemente
Max-Planck-Ring 12, 98693 Ilmenau
www.tu-ilmenau.de/maschinenelemente

                                              

vorgelegt über:

Wirtschaftsverband Stahl und Metallverarbeitung e.V., Düsseldorf für Eisendraht und Stahldraht-Vereinigung e.V., Düsseldorf.
Begleitet wurde das Projekt von einem Arbeitskreis der Eisendraht- und Stahldraht-Vereinigung e.V. (ESV).

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
Bitte wenden Sie sich an die Geschäftsstelle der AVIF.

Weitere Informationen im Internet:

https://umformtechnik.net/draht/Inhalte/Aus-der-Forschung/Hin-und-Herbiegeversuch-mit-konstanter-Dehnung

https://tubaf.qucosa.de/api/qucosa%3A78637/attachment/ATT-0/

13.07.2023