A079

Messverfahren für Kräfte und Momente an strich- und punktgeschweißten Überlappverbindungen


(A079 S 24/18/93)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Januar 1994 – 31. Dezember 1996

Punktschweißen von Überlappverbindungen ist ein in der Einzelfertigung ebenso wie in der Massenproduktion - z.B. für Automobile, Schienfahrzeuge, Haushaltsgeräte - von Dünnblechkonstruktionen häufig angewendetes Verbindungsverfahren. Es erlaubt vielfältige konstruktive Lösungen, ist einfach anwendbar und gut roboterisierbar und läßt relativ große Maßabweichungen der zu verbindenden Teile zu. Durch fortschrittliche Anwendung der Finite-Elemente-Methode auf derartige Konstruktionen gelingt es heute, die am Schweißpunkt übertragenen resultierenden Schnittkräfte zu berechnen und davon ausgehend Festigkeitsabschätzungen vorzunehmen. Genauere Festigkeitsanalysen gehen von der höchsten lokalen Beanspruchung am Schweißpunktrand aus, der Strukturspannung, Kerbspannung oder Spannungsintensität nebst zugehörigen Dehnungsgrößen. Dabei wird der Beanspruchungszustand um den Schweißpunkt eindeutig durch die resultierenden Schweißpunktkräfte beschrieben, wobei die entsprechenden Momente immer miteingeschlossen sind.

Es hat sich gezeigt, daß der Beanspruchungszustand an einem Schweißpunkt durch die Schnittkräfte in der Fügefläche (Zug- und Scherkraft, Biege- und Torsionsmoment) allein nicht hinreichend allgemein beschrieben werden kann. Es treten die Eigenkräfte in der Plattenmittenfläche hinzu. Eigenkräfte sind die belastungsbedingten Kräfte am Schweißpunkt, die in der Fügefläche nicht als resultierende Schnittkraft in Erscheinung treten, beispielsweise durchgehender Zug in der Platte. Die Eigenkräfte sind daher von den Eigenspannungen wohl zu unterscheiden. Eine eindeutige Bestimmung der Schnitt- und Eigenkräfte läßt sich z.B. aus der Kenntnis von 16 Randspannungen in den Scheitelpunkten ableiten.

Den sehr fortgeschrittenen theoretischen Lösungsmöglichkeiten steht zur Zeit noch kein adäquates meßtechnisches Verfahren gegenüber. Die wesentliche Zielsetzung dieses Forschungsvorhabens war es, diese Lücke zu schließen.

Die Aufgabe, einen komplexen Beanspruchungszustand, wie z.B. eines Schweiß- oder Fügepunktes in einer beliebig komplizierten Struktur, meßtechnisch eindeutig zu ermitteln, gelingt nach heutigem Verständnis, wenn entsprechend der Zahl der Unbekannten (hier die am Schweißpunkt angreifenden Kräfte und Momente) ebenso viele unabhängige Gleichungen aufgestellt werden können, die nach dem deterministischen Prinzip gelöst werden. Dies bedeutet, daß bei einer rein meßtechnischen Lösung mittels Dehnungsmeßstreifen eine entsprechend hohe Zahl an Meßstellen instrumentiert werden muß, so daß aus den gemessenen Dehnungswerten eindeutig die notwendigen Zug-, Biege- und Schubspannungen ermittelt werden können.

Von dem ursprünglich vorgesehenen Bearbeitungsplan mußte merklich abgewichen werden, da sich während der Untersuchung herausstellte, daß eine direkte und vollständige Bestimmung von Spannungen an den Scheitelpunkten eines Schweißpunktes mittels Dehnungsmeßstreifen nicht möglich ist, wenn die Instrumentierung praxisgerecht nur an der Außenseite erfolgen kann. Dies lag insbesondere daran, daß unter den gegebenen Bedingungen keine Möglichkeit gefunden wurde, die Zug- von der Biegedehnung eindeutig zu separieren. Auch der Ansatz mit Hilfe von Kalibrierkurven diesem Mangel abzuhelfen, führte nicht zu dem gewünschten Erfolg, da die deterministische Lösung eines linearen Gleichungssystems mit "verrauschten" Meßsignalen zur Nichtlösbarkeit bzw. zu falschen Ergebnissen führen kann. Statt dessen mußte ein in dieser Form nicht vorgesehener Theorieteil hinzugefügt werden, in dem spezielle Auswerteverfahren und insbesondere die Anwendbarkeit von korrelativen Methoden untersucht wurden.

Das Problem läßt sich zum einen in Sonderfällen mit einem berührungslosen optischen Meßverfahren, dem "3D Speckle Interferometrie Verfahren", lösen. Mit diesem Verfahren können Verschiebungen in drei Richtungen mit hoher Auflösung gemessen werden. Daraus lassen sich dann die zur Lösung des Problems notwendigen Dehnungen und Spannungen berechnen.

Zum anderen bietet ein neuartiger Ansatz auf der Basis der Dehnungsstreifen-Meßtechnik eine Lösungsmöglichkeit. Aufgrund von FE-Rechnungen kennt man die spezifische Dehnungs-, bzw. Spannungsverteilung in unmittelbarer Nähe eines Schweißpunkts, die durch eine bestimmte Belastungsart, z.B.

Scherzugprobe, Kopfzugprobe oder Eigenkraftprobe

und einer bestimmten Belastungshöhe erzeugt wird. Durch lineare Überlagerung der einzelnen Belastungsarten-, entsprechend ihrer Belastungsrichtung und -höhe, wird ein dem Beanspruchungszustand typisches Dehnungsfeld erzeugt, d.h. mit anderen Worten: An jeder Stelle der Struktur findet man einen Dehnungswert vor, der die Summe aller möglichen Belastungsarten gemäß ihrer Höhe und Richtung repräsentiert. Zweiachsige Beanspruchungen können durch eine Erweiterung der Beanspruchungsmatrix (Grundmuster um 90 Grad gedreht) berechnet werden. Weitere Belastungsarten, z.B. Torsion können hinzutreten, wurden aber in diesem Vorhaben nicht berücksichtigt, um die Komplexität des Problems in einem überschaubaren Rahmen zu halten.

Wählt man eine genügend hohe Zahl von Meßstellen, so ergibt sich ein eindeutiger "Fingerabdruck", der analog zur stochastisch, ergodischen Meßtechnik als ein stationäres, stochastisches Meßsignal aufgefaßt und damit als Markoff´sche Kette mathematisch beschrieben werden kann. Durch Vergleich dieses "Fingerabdrucks" mit den theoretischen Mustern (Belastungsarten) lassen sich Ähnlichkeitskoeffizienten (Korrelationswerte) finden, die bei der größtmöglichen Übereinstimmung ein eindeutiges Maximum für das jeweilige Muster haben. Die Höhe dieses Maximums eines Musters im Vergleich mit den Maxima bei anderen Mustern gibt Hinweise auf den Anteil dieser Beanspruchungsmuster zur Gesamtbeanspruchung. Die Beanspruchungsrichtung und die Winkellage der Beanspruchung zu einem gewählten Koordinatensystem werdedn gleichzeitig mitberechnet.

Mathematisch führt diese Vorgehensweise ebenfalls auf die Lösung eines linearen Gleichungssystems, wobei aber die deterministischen Koeffizienten durch Korrelationskoeffizienten, d.h. mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie berechneten Koeffizieten, ersetzt werden.  Für die vollständige Berechnung der resultierenden Schnittkräfte am Schweißpunkt müssen alle Grundbelastungsarten berücksichtigt werden, die ein eigenständiges Dehnungsmuster erzeugen. Belastungsarten, die linear korrelierende Dehnungsfelder erzeugen, können auf eine Belastungsart reduziert werden.

Die wichtigsten Vorteile dieser neuartigen Methode sind:

die Zahl der zu bestimmenden Größen (Kräfte und Momente) muß nicht mit der Zahl der Meßstellen übereinstimmen.

Meßunsicherheiten, verrauschte Meßsignale führen nicht zur Unlösbarkeit des Gleichungssystems, wie dies bei einer deterministischen Lösung der Fall sein kann. Durch die Anwendung der statistischen Methode wird in der Regel ein präziseres Ergebnis erzielt

Komplexe Beanspruchungen können in Einzelanteile bezüglich Höhe und Richtung zerlegt werden.

Es ist nicht unbedingt notwendig, den kompletten Dehnungszustand (Bestimmungen von Hauptdehnungen und deren Richtung) an einem definierten Meßort zu bestimmen.

Die Bestimmung des genauen Meßorts kann nach der Applikation des Meßaufnehmers erfolgen. Die Festlegung auf einen exakt definierten Meßort kann entfallen. Dadurch können die Instrumentierungskosten erheblich gesenkt werden.

Zweiachsige Beanspruchungen können durch eine entsprechende Erweiterung der Beanspruchungsmatrix erfaßt werden.

Die prinzipielle Anwendbarkeit dieser Methode wurde an einfachen, punktgeschweißten Proben (Eigenkraft- und Scherzugproben) unter Zug-, bzw. Biegebeanspruchung in ein- und zweiachsiger Belastungsrichtung nachgewiesen. Auf die Untersuchung mit strichgeschweißten Überlappverbindungen wurde verzichtet, da die Problemlösung in den punktgeschweißten Proben enthalten ist.

Für die meßtechnische Bestimmung von Kräften und Momenten an Punktschweißkonstruktionen stehen somit zwei Verfahren zur Verfügung. Sowohl für das korrelative Mustererkennungsverfahren auf der Basis DMS-Technik als auch für das 3D Speckle-Interferometrie Verfahren steht aber eine praxisgerechte Umsetzung noch aus. Es erscheint sinnvoll, beide Verfahren weiterzuentwickeln, da jedes Verfahren spezifische Vor- und Nachteile hat, die zu nicht konkurrierenden Einsatzbereichen führen können. So wird man beispielsweise bei der Messung eines dreidimensionalen Dehnungsfeldes mit hoher Auflösung vorwiegend das 3D Speckle-Interferometrie Verfahren, bei einer dynamischen Messung im Prüfstand oder Feldversuch das korrelative Mustererkennungsverfahren einsetzen. Da die Verfahren grundsätzlich auch bei anderen Punktverbindungen, wie Nieten oder Schrauben, anwendbar sind, sollte hierauf bei der Weiterentwicklung ein besonderes Augenmerk gelegt werden.

Forschungsstelle 1:
Materialprüfungsanstalt Uni Stuttgart (MPA) Otto-Graf-Institut
www.mpa.uni-stuttgart.de
 
Forschungsleiter 1:

Prof. Dr.-Ing. Karl Kußmaul
(vorgelegt vom Verband der Automobilindustrie für Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V., Frankfurt)

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF