A086

Weiterentwicklung der Bemessungsregeln von Anschlüssen im Stahl- und Verbundbau zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit


(A086 S 24/18/1994)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. März 1995 – 28. Februar 1997

Die Bemessung und Ausführung von Anschlüssen im Stahl- und Verbundbau hat einen entscheidenden Einfluß auf die Wirtschaftlichkeit und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit von Stahl- und Verbundkonstruktionen, da die Herstellung der Anschlüsse teilweise sehr arbeitsaufwendig ist und somit einen wesentlichen Anteil an den Kosten einer Stahl- oder Verbundkonstruktion hat. Dieser Einfluß wird sich durch das ständig steigende Verhältnis von Lohn- zu Materialkosten in Zukunft noch stärker ausprägen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, insbesondere bei den Anschlüssen, in erster Linie nach ökonomischen Gesichtspunkten zu konstruieren.

Dies läßt sich jedoch nur schwer in der Praxis realisieren, wen man die übliche Vorgehensweise bei der Bemessung von Stahl- oder Verbundkonstruktionen beachtet: Vor der Berechnung der Gesamtkonstruktion werden Annahmen für das Verhalten der Anschlüsse ("gelenkig" oder "biegesteif") getroffen, die dann bei der späteren Bemessung und konstruktiven Ausbildung der Anschlüsse realisiert werden müssen.  

Dies führt bei Annahme eines biegesteifen Anschlusses häufig dazu, daß zusätzlich teure Steifen eingeschweißt werden müssen, um die geforderte Tragfähigkeit zu erreichen. Eine Überprüfung der erforderlichen Steifigkeit konnte bisher nicht durchgeführt werden, da hierfür noch keine Bemessungswerkzeuge zur Verfügung standen.

Die Annahme gelenkiger Anschlüsse bedeutet, daß Deckenträger oft als Einfeldträger bemessen werden. Hier wären auch im Stahlquerschnitt deutliche Einsparungen möglich, wenn man berücksichtigen könnte, daß Anschlüsse, die als gelenkig bezeichnet werden, tatsächlich eine signifikante Momententragfähigkeit ("teiltragfähig") aufweisen. Im Verbundbau stellt sich im Endzustand wegen der durchlaufenden fugenlosen Betonplatte ohnehin eine Durchlaufwirkung ein.

Um hier die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, ist es notwendig, einen Anschluß bereits vor der Berechnung der Gesamtkonstruktion kostenoptimal auszubilden und dann danach zu fragen, was der Anschluß leistet, d.h. das tatsächliche Verhalten bei der weiteren Berechnung zu berücksichtigen. Dies erfordert Bemessungsmodelle, mit denen das tatsächliche Verhalten von Anschlüssen bestimmt werden kann und die es dann erlauben, bereits vor der Tragwerkanalyse zu entscheiden, ob der gewählte Anschluß z.B. als "biegesteif" eingestuft werden kann.

Um das Trag- und Versagensverhalten von Verbindungen beurteilen und diese richtig konstruieren und bemessen zu können, sind Momenten-Verdrehungskennlinien erforderlich. Auch für die Berechnung der Tragwerke werden die Momenten-Verdrehungskennlinien der Verbindungen benötigt, um deren Einfluß auf das Tragverhalten angemessen berücksichtigen zu können. Diese kennzeichnenden M-f-Kurven müssen - zumindest zur Zeit noch - experimentell ermittelt werden. Parallel zu diesen experimentellen Arbeiten wurden im Rahmen dieses Forschungsprojektes aber auch nichtlineare Berechnungen durchgeführt, um über die Komponentenmethode die M-f-Kurven rechnerisch zu ermitteln. Erst mit Vorliegen der endgültigen M-f-Kurven läßt sich das Tragverhalten von Verbindungen klassifizieren. Dazu muß außerdem bekannt sein, wie sich Steifigkeit, Teiltragfähigkeit und Verformbarkeit auf das gesamte Tragwerk auswirken. Zu dieser Problematik sollen die durchgeführten Traglastversuche mit Knotenpunkten und die zwei Trägerversuche mit Verbundverbindungen einen Beitrag leisten.

Das Versuchsprogramm bestand aus insgesamt 15 Traglastversuchen -13 Knoten- und zwei Trägerversuchen-, die in vier Versuchsserien unterteilt sind. Dabei wurden die folgenden beiden Anschlußtypen untersucht: Fahnenbleche mit und ohne Druckstück und Stirnplatten ohne Überstand. Mit anderen Verbindungstypen lagen bereits Versuchserfahrungen vor. Im übrigen gehen wir davon aus, daß die Betonplatte insbesondere im Industriebau in den Stützenachsen fugenlos durchläuft.

Zweck der Traglastversuche war es, quantifizierbare Aussagen über das nichtlineare Anschlußverhalten von Stahl- und Verbundknoten unter Berücksichtigung der Stabilität und der Rißbildung im Beton im negativen Momentenbereich zu erhalten. Auch wurde ein für den Verbundbau typischer Parameter, die Herstellungs- oder Belastungsgeschichte, mit untersucht.

Die aus den Versuchen erzielten Ergebnisse dienen zur Aufstellung von praxisnahen Bemessungsregeln, da zur Zeit die Verbundträger-Richtlinie hierzu keine und der Eurocode 4 nur unzureichende Anwendungsregeln enthalten. Im EC 4 sind seitenweiche Tragwerke (das sind solche, die nach Theorie II. Ordnung berechnet werden müssen) ausgeschlossen. Seitensteife, nicht ausgesteifte Tragwerke und verformbare Verbindungen werden ebenfalls nicht berücksichtigt. Die vorhandenen Anwendungsregeln gelten deshalb nur für ausgesteifte, seitensteife Tragwerke mit unverformbaren (starren) Verbindungen. Werden die Schnittgrößen elastisch berechnet, müssen alle Verbindungen entweder unverformbar (starr) oder planmäßig gelenkig sein. Wird elastisch mit Momenten-Umlagerung gerechnet, dann müssen die Verbindungen auch volltragfähig oder wiederum planmäßig gelenkig sein. Wird alternativ das Fließgelenkverfahren nach Theorie I. Ordnung angewandt, muß entweder ausreichendes Rotationsvermögen nachgewiesen werden. Oder es muß ein mindestens 1,2-faches Grenzmoment in der Verbindung gegenüber dem Grenzmoment des angeschlossenen Verbundträgers vorhanden sein, damit die plastischen Verdrehungen nicht in der Verbindung, sondern daneben auftreten. Es stellt sich also die Frage: Was ist mit teiltragfähigen, verformbaren Verbindungen? Die im EC 4 vorhandenen Regeln verweisen außerdem auf den EC 3. Somit werden für einen Verbundanschluß zwar die Stahlkomponenten erfaßt. Wie sich aber der Verbund auswirkt, und welchen Beitrag die Komponente Betongurt leistet, wird in keiner der geltenden Normen berücksichtigt. Die Versuchsergebnisse sollten deshalb dazu dienen, Vorschläge für Bemessungsregeln zu erarbeiten, und diese mit Hilfe von weiteren Parameterstudien zu kalibrieren.

Die numerischen Versuchssimulationen erfolgen mit dem Programmsystem Ng-Verbund unter Berücksichtigung wirklichkeitsnaher, nichtlinearer Charakteristiken des Verbund- und Materialverhaltens. Das Rechenprogramm Ng-Verbund dient der physikalisch nichtlinearen Berechnung von Verbunddurchlaufträgern unter Berücksichtigung der Nachgiebigkeit in der Verbundfuge (Schlupf). Der Verbundträger einschließlich der Anschlüsse wird dabei mit Finiten Elementen mit nichtlinearen Verhalten abgebildet. Die Berechnung erfolgt inkrementell iterativ, d.h. die Belastung wird in kleinen Lastschritten aufgebracht, für die jeweils eine iterative Berechnung der Schnittgrößen unter Berücksichtigung der im System vorhandenen, belastungsabhängigen Steifigkeitsverhältnisse durchgeführt wird.

In den Berechnungen wurde das nichtlineare Verhalten der Werkstoffe Stahl, Beton und Bewehrung durch, im Zuge der Materialprüfung gewonnene Daten in Form von Kennlinien erfaßt. Die Mitwirkung des Betons auf Zug zwischen den Rissen und die Verfestigung des Baustahls und der Bewehrung wurden ebenfalls berücksichtigt. Das nichtlineare Verhalten der Verbundmittel wurde durch sogenannte Dübelkennlinien aus Push-out-Versuchen erfaßt. Das nichtlinerare Verhalten der Anschlußkomponenten wird ebenfalls durch Kennlinien beschrieben.

Die Kostenermittlung im Stahlbau ist komplex und zeigt die Verflechtungen der einzelnen Elemente. Ziel der vorliegenden Untersuchungen war es, den möglichen wirtschaftlichen Nutzen qualitativ zu erfassen, der durch den Einsatz nachgiebiger Anschlüsse im Vergleich zu den traditionellen Lösungen erzielt werden kann. Um diesen Effekt isolieren zu können, wird davon ausgegangen, daß die untersuchten Systeme so gewählt sind, daß andere Kosten durch die Parametervariationen nicht beeinflußt werden (Beispiel: die Veränderung der Anschlüsse bewirkt keine anderen Systemabmessungen, d.h. die Stockwerkhöhe bleibt konstant, so daß auch Kosten für Fassaden oder Ausbau konstant bleiben).

Um die o.g. Kostenvergleiche anstellen zu können, wurde aus dem Bauwerk ein einzelner Rahmen herausgelöst. Dann wurden verschiedene technische Lösungen betrachtet. Um tatsächliche Kosten zu ermitteln, wurde die Untersuchung in Zusammenarbeit mit zwei deutschen Stahlbaufirmen durchgeführt. Die Untersuchungen stellen Fallbeispiele dar, die hinsichtlich Abmessungen und Belastung praxisnah sind. Ein ganzheitlicher Vergleich tatsächlicher Kosten ließe sich jedoch nur durch die Nachrechnung bestehender Gebäude realisieren.

Die Kostenermittlungen wurden von beiden Stahlbauunternehmen unabhängig und betriebsintern durchgeführt. Da die beiden Firmen unterschiedlich strukturiert und in verschiedenen Marktsegmenten angesiedelt sind, sind die absoluten Kosten nicht direkt vergleichbar. Ein Vergleich ist nur durch Gegenüberstellung von jeweils zwei Varianten (klassisches Konzept und modernes Konzept) innerhalb einer Firma möglich. Dies bedeutet auch, daß die meisten kalkulatorischen Annahmen, die von der durchgeführten Parametervariation unabhängig sind, bei dem Vergleich herausgefiltert werden, so daß die Ergebnisse wieder untereinander vergleichbar sind.

Mit den Ergebnissen dieses Forschungsvorhabens konnten die bestehenden Bemessungsregeln für den Eurocode 3 (Stahlbauten) verbessert bzw. erweitert werden. Durch die nun zur Verfügung stehenden allgemeinen Bemessungsmodelle wird dem planenden Ingenieur ein großer Freiraum gegeben, da die Anschlußkenngrößen Tragfähigkeit und Steifigkeit sowie die Abschätzung der Duktilität für fast beliebige Anschlußkonfigurationen berechnet werden können. Dies bedeutet, daß jetzt auch die Anschlüsse nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit bemessen werden können und nicht mehr nach Vorgaben der Tragwerksstatik bemessen werden müssen.

Der erarbeitete Normenvorschlag wurde bereits von CEN TC 250/SC 3 akzeptiert. Für den Eurocode 4 (Verbundbauten) existieren entsprechende Anwendungsregeln zur Zeit noch nicht. Durch die Mitarbeit in den internationalen Arbeitsgruppen konnte mit den Erkenntnissen aus dem Projekt ein konkreter Betrag für die Erstellung eines entsprechenden Normenentwurfs für einen Anhang zum Eurocode 4 geleistet werden. Die Forschungsergebnisse zum Thema Anschlüsse von Verbundträgern werden im Rahmen der COST C1 Aktion durch die Europäische Kommission in einer Veröffentlichung zusammengestellt, die auch Beiträge aus dem Bericht enthält. Neben grundlegenden Untersuchungen, die den Stand der Technik erweitern, wurden konkrete Regeln erarbeitet, die dazu beitragen, die Wirtschaftlichkeit von Stahl- und Verbundbauten durch optimale Konstruktion der Anschlüsse zu verbessern. Die durchgeführten Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit belegen dies.

Für den Stahlbau können zwei mögliche Ansätze zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit identifiziert werden:

1. Vereinfachung der Anschlußkonstruktion und dadurch Minimierung der Fertigungs
kosten. Dies ist insbesondere dann signifikant, wenn momententragfähige Anschlüsse
auszubilden sind.

2. Reduzierung der Profilabmessungen (i.d.R. der Riegel) und dadurch Minimierung der
Materialkosten durch Berücksichtigung des tatsächlichen Anschlußverhaltens.

Für die untersuchten Fallbeispiele wurden Einsparungen von bis zu etwa 20% für die reine Stahlkonstruktion ermittelt.

Forschungsstelle 1:
Institut und Lehrstuhl für Stahlbau und Leichtmetallbau der RWTH Aachen
www.stb.rwth-aachen.de
 
Forschungsleiter 1:

Prof.Dr.-Ing. G. Sedlacek
(vorgelegt vom Wirtschaft verbandStahlbau und Energietechnik e.V. (SET), Düsseldorf)

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF