A062 und A062a

Leistungsvermögen hochbeanspruchter Bauteile aus Strangguss


(A62 und A62a S 24/01/1992)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Juli 1992 – 31. Mai 1997

Der Anteil von Stranggußwerkstoffen ist in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf nahezu 90% gestiegen. Die Kostenreduzierung liegt im Stahlwerk bei bis zu 20% im Vergleich zu Blockguß. Bei der Herstellung von Wälzlagerkugeln aus 100Cr6 sind Stranggußausgangswerkstoffe aufgrund der Kernseigerung jedoch noch nicht generell freigegeben.

Ziel des Forschungsvorhabens war zunächst die möglichst umfangreiche Beurteilung von Strangguß 100Cr6 als Ausgangswerkstoff zur Wälzlagerkugelproduktion.

Es wurden drei Strangguß- (Kokillenquerschnitte 265 x 385 mm, 265 x 265 mm, 320 x 240 mm jeweils Kreisbogenanlagen) und eine Blockgußcharge (4,9 t Kopfquerschnitt 633 x 633 mm) von deutschen Stahlherstellern erzeugt und Wälzlagerkugeln mit einem Durchmesser von 15,081 mm hergestellt. Der Herstellungsprozeß wurde von der Stahlherstellung bis zur Kugel dokumentiert und verglichen. Nach allen Fertigungsabschnitten wurden intensive werkstoffkundliche Untersuchungen, insbesondere des Seigerungszustandes, durchgeführt.

Zur Kugelprüfung wurden Wälzermüdungsprüfstände basierend auf Kugel-Scheiben-Getriebe von P.I.V. aufgebaut und die Kugeln bis zum Auftreten von ersten Schäden geprüft und die charakteristische Lebensdauer als Weibullverteilung berechnet. Durch den Einsatz einer automatischen Geräuschüberwachung können kleinste Schäden ab ca. 50 mm an den Kugeln bzw. Kontaktpartnern nachgewiesen werden. Bei der Überrollung der Kugeln in den Prüfständen liegt eine vergleichbare Beanspruchung von Wälzlagerinnenringen vor. Die von Wälzlagerringen bekannten strukturellen Gefügeveränderungen und Eigenspannungsumlagerungen wurden auch an überrollten Kugellagerkugeln nachgewiesen. Die an den Kugeln aufgetretenen Schäden sind eindeutig auf Werkstoffermüdung rückführbar, verschleißbedingte Schäden sind bei dieser Versuchsführung auszuschließen.

Bei den beiden aufgetretenen Schadensmerkmalen handelt es sich um typische Ermüdungsschäden bei einer Wälzbeanspruchung, da unterhalb der Oberfläche Risse entstehen und wachsen. Bei den Kugeln aller Chargen lag ein gleichartiger Wärmebehandlungs-, Fertigungs- und Beanspruchungszustand durch die Überrollung vor, der nicht zu unterschiedlichen Beanspruchbarkeiten führte.

An den aufgetretenen Schäden konnten keine Oxide, Sulfide oder Titankarbonitride als Schadensauslöser nachgewiesen werden. Bei dem Schadensmerkmal A entsteht  ermüdungsbedingt  ein Riß unterhalb der Oberfläche. Da der zur Oberfläche parallele Riß in der Tiefe der höchsten Werkstoffbeanspruchung entsteht, liegt bei diesen Kugeln innerhalb der kritischen Werkstoffbereiche keine Erhöhungen der Werkstoffbeanspruchungen durch innere Kerben vor. Bei dem schadednsmerkmal B entstehen aufgrund von Kerbwirkungen nach kürzerer Überrollungsdauer Ermüdungsrisse. Durch die Kerbwirkung der knochenförmigen Eisenchromkarbide werden die Oberflächenabstände dieser Risse zu geringeren Randabständen (ca. 130 mm) verschoben.

Durch die lokale Erhöhung der Bruchzähigkeit in "dark etchingareas" - zonenspannungsinduzierter Kohlenstoff-Diffusion in Bereichen maximaler Vergleichs-Spannungen - als Folge der strukturellen Gefügeänderungen ergibt sich in der Rißtiefe von ca. 230 mm des Schadensmerkmales A eine deutlich größere kritische Fehlerlänge als bei dem Schadensmerkmal B.

In dem Randabstand von rund 130 mm des Schadensmerkmales B hat sich die Bruchzähigkeit nicht bzw. nur geringfügig verändert, so daß hier deutlich kürzere Fehlerlängen ausreichen, um instabiles Rißwachstum auszulösen.

Zwei der drei Stranggußchargen zeigten zum Blockguß vergleichbare bzw. höhere Lebensdauern, eine Stranggußcharge erreichte nur rund 70% der Lebensdauer. Die Ursache für die früheren Ausfälle konnte bis ins Stahlwerk zurückverfolgt werden und stellte sich als nicht allgemein stranggußtypisch heraus.

Grundsätzlich ist nach den Untersuchungen bei stranggußspezifischer schmelzmetallurgischer Behandlung und bei auf den Wälzlagerstahl 100Cr6 abgestimmten Prozeßparametern der im Stranggußverfahren erzeugte Stahl für die Kugelproduktion geeignet. Aufgrund des hohen mikroskopischen Reinheitsgrades lagen keine Einschlüsse im Bereich der höchsten Werk-stoffbeanspruchung vor, so daß diese nicht zur Reduzierung der Lebensdauer beitrugen. Die bei der Erstarrung entstandenen quasiledeburitischen primären Eisenchromkarbide lagen bei einer der drei Stranggußchargen  vermehrt und in leicht größerer Form vor, so daß bei dieser Charge auch mehr längliche knochenförmige Eisenchromkarbide im hochbeanspruchten Randabstand der Kugeln auftraten. Diese können Kerbwirkungen haben und so zur Schadensbildung beitragen. Die Ursache für die reduzierte Lebensdauer dieser Charge konnte somit identifiziert werden. Dadurch ist es möglich, die Erstarrungsbedingungen der Stranggießanlage zu modifizieren, um so die Ausscheidung von vielen großen quasiledeburitischen Eisenchromkarbiden zu verhindern.

Zur Qualitätssicherung und Überprüfung der Eignung einer Stranggußcharge für die Wälzlagerkugelproduktion ist es hilfreich, wenn man neben den üblichen werkstoffkundlichen Untersuchungen eine Beizscheibe des Rohstranges beurteilt. Diese gibt Aufschluß über die folgenden versagenskritischen Merkmale:

I Größe des gerichtet erstarrten Bereiches

I Ausmaß des ungerichtet globulitisch erstarrten Bereiches

I Intensität und Verteilung der V-Seigerungen

I Porosität und Mittenlunker

Bei richtiger Beurteilung der Beizscheiben kann nach Untersuchung der üblichen Kennwerte und Kriterien mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Aussage über die Güte der daraus erzeugten Wälzlagerkugeln getroffen werden. Alle anderen hier durchgeführten Untersuchungsmethoden wie beispielsweise die Spektroskopie am Rohstrang und Halbzeug oder die ESMA-Untersuchungen am Draht sind erheblich aufwendiger und kostenintensiver und geben keine besseren bzw. zuverlässigeren Informationen.

Die Untersuchung hat gezeigt, daß Kugeln aus Strangguß 100Cr6 mindestens gleiche Überrollungslebensdauern wie solche aus Blockguß erreichen, wenn neben den üblichen metallurgischen Anforderungen (Makro- und Mikroeinheitsgrad) auf eine gleichförmige Karbidverteilung vor allem in den geseigerten Bereichen geachtet wird.

Im zweiten Teil der Untersuchung wurde der typische Einsatzstahl 17 CrNiMo 6 untersucht. Der Werkstoff lag in einer Blockgußvariante und in zwei Stranggußvarianten vor. Im Unterschied zum Wälzlagerwerkstoff 100Cr6 wurden hier unterschiedliche Umformgrade untersucht, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Umformgrade des Halbzeugs als kritisch zu bewerten sind. Dies geschieht insbesondere vor dem Hintergrund, daß bei größeren Getriebebauteilen (z.B. Kegelrädern) auch die Zonen niedrigerer Umformgrade beansprucht werden können.

Daher wurde bei der Herstellung der Halbzeuge der folgende Verfahrensweg gewählt: Größere Umformgrade von 12 wurden durch eine Querschnittverminderung auf einen Stab mit einem Durchmesser von 120 mm erzielt. Bei den geringeren Umformgraden von 3, 4 und 6 wurden die Ausgangsquerschnitte des Rohstrangs auf größere Halbzeugabmessungen als 120 mm Durchmesser umgeformt. Der geforderte Ausgangsquerschnitt für die Bearbeitung wurde anschließend durch Abdrehen erreicht.

Der Querschliff weist bei den kleinsten Umformgraden im Kernbereich - dem später hochbeanspruchten Bereich auf der Scheibe - Lunker auf. Bei dem Umformgrad 6 konnten derartige Lunker im Kernbereich mit Sicherheit nicht mehr beobachtet werden. Makroskopisch wurden zwischen den Chargen mit den verschiedenen Umformgraden in Baumannabdrücken unterschiedlich stark ausgeprägte Schwefelseigerungen beobachtet. Für die höheren Umformgrade der Strangguß- und Blockgußvarianten ergeben sich homogenere und feinere Verteilungen der nichtmetallischen Einschlüsse. Die Blockgußscheiben zeigen ein völlig homogenes Ätzbild an Beizscheiben. Die Reinheitsgraduntersuchungen belegen, daß zwischen der Stranggußcharge 2 und dem Blockguß bei vergleichbarem Schwefelgehalt der Schmelzanalyse Unterschiede im optisch ermittelten Reinheitsgrad bestehen. Die Stranggußcharge 2, die für die Scheibenherstellung mit dem Umformgrad 12 herangezogen wurde, zeigt sowohl beim oxidischen wie beim sulfidischen Reinheitsgrad K0 etwas höhere Werte als der Blockguß.

Die Größe, die Form und die Anzahl der Austrittpunkte nichtmetallischer Einschlüsse (NME) auf der durch eine Überrollungsbeanspruchung hochbeanspruchten Scheibenoberfläche wurde genauer mittels der Bildanalyse untersucht. Für alle untersuchten Varianten ergeben sich in der Tendenz von innen nach außen abnehmende Zahlen von NME. Dabei zeigt der Blockguß eine sehr gleichmäßige Verteilung und nur geringere Unterschiede zwischen der Zahl nichtmetallischer Einschlüsse in der Scheibenmitte und am Scheibeninnenrand. Vergleicht man die beiden Umformgrade des Stranggusses, die verschiedenen Schmelzen mit unterschiedlichen Schwefelgehalten entstammen, so kann beim größeren Umformgrad 12 (geringerer Schwefelgehalt) eine geringere Zahl von Einschlüssen insgesamt und eine gleichmäßigere Verteilung über die Scheibenoberfläche beobachtet werden.

Die als Scheibenprüfstände eingesetzten Kugel-Scheiben-Getriebe der Firma P.I.V. mit zusätzlich eingebrachten Meß- und Kontrolleinrichtungen bewährten sich hervorragend. Die Hertzsche Pressung betrug 2700 MPa bzw. 2000 MPa.

An den in den Versuchen verwendeten Blockgußkugeln ergab sich kein Versagen. Mit zunehmenden Umformgrad steigt die Lebensdauer der Scheiben bei der höheren Beanspruchung von 2700 MPa kontinuierlich an von 175 h bei der Stranggußcharge mt dem geringsten Umformgrad 3 auf 1745 h bei der Stranggußcharge mit dem größten untersuchten Umformgrad 12. Die Blockgußcharge weist bei gleichem Umformgrad von etwa 12 eine nahezu dreifach so große Lebensdauer auf. Für die gesenkgeschmiedete Blockgußcharge mit angepaßtem Faserverlauf ergeben sich nochmals deutliche Lebensdauerzunahmen. Die Lebensdauern sind bei der geringeren Beanspruchung für alle untersuchten Varianten zu höheren Überrollungsdauern verschoben.

Alle untersuchten Schäden an den Strang- und Blockgußscheiben zeigen als Ursache von Anrissen Gefügeumwandlungen an unter der Oberfläche liegenden nichtmetallischen Einschlüssen (Mangansulfiden), die abgesehen von der Orientierung zur Oberfläche den

"Butterflies" an Einschlüssen des Wälzlagerstahls ähnlich sind. An diesen Einschlüssen und den damit verbundenen Gefügeveränderungen erfolgt bei weiterer Überrollung eine Anrissbildung, die in Verbindung mit der Rißausbreitung dann zu einem Ausbruch von oberflächennahen Werkstoffbereichen und damit zu einem Pitting führt.

Die Untersuchung zeigte, daß bei Strangguß mit einem kleinen Umformgrad vor allem auf den Reinheitsgrad und die Verteilung der NME zu achten ist. Je gleichförmiger die Verteilung der NME und je besser der Reinheitsgrad ist, desto länger ist die Lebensdauer in Überrollungsversuchen mit Kugel-Scheibe-Getrieben. Als besonders kritisch erwies sich der stark geseigerte Kernbereich. Bei Beanspruchung von Kernzonen mit geringem Umformgrad führen hohe Wälzbeanspruchungen zu einer geringen charakteristischen Lebensdauer. Daher sind beim Einsatz von Strangguß diese stranggußtypischen Randbedingungen durch geeignete Maßnahmen zu berücksichtigen.

Forschungsstelle 1:
Stiftung Institut für Werkstofftechnik (IWT)
www.iwt-bremen.de
 
Forschungsleiter 1:
Prof. Dr.-Ing. habil. Peter Mayr
(vorgelegt vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. – VDMA für FVA)

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband der Deutschen Wissenschaft e.V. Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF