A131

Betriebsfestigkeit von Karosseriestählen


(A131 S 24/18/97)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Januar 1998 – 30. Juni 2000

Die rechnerische Lebensdauerabschätzung nach dem Örtlichen Konzept ermöglicht eine kostengünstige und schnelle Beurteilung von Bauteilen auf Basis der Beanspruchbarkeit des Werkstoffs (Dehnungswöhlerlinie bzw. Schädigungsparameterwöhlerlinie) und der Last - Kerbgrundbeziehung des Bauteils. Es ist daher nicht nur in der Serienentwicklung, sondern vor allem auch in der Vorentwicklung, d. h. ohne vorhandene Prototypen, einsetzbar.
Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Örtlichen Konzepts zur Lebensdauerberechnung von Stahlblechkonstruktionen wurde im FAT-Forschungsvorhaben Lebensdauer von Blechen mit Sicken aufgezeigt. Die Treffsicherheit (Vergleich der Lebensdauer im Versuch mit der berechneten Lebensdauer) erwies sich jedoch als unbefriedigend. Eine der Ursachen dafür war, dass die durch den Umformprozess sich ändernden Werkstoffeigenschaften nicht ausreichend bekannt sind.
Durch die heute mögliche Umformsimulation müssen die für eine Lebensdauerrechnung notwendigen Eingangsgrößen (Umformgrad, Formänderungsverhältnis, Blechdicke, Geometrie) nicht mehr experimentell bestimmt werden. Damit ist eine Lebensdauerabschätzung möglich, ohne dass ein Prototyp gefertigt werden muß (virtuelle Prozesskette).
Das Ziel des Forschungsvorhabens war eine Verbesserung der rechnerischen Lebensdauerabschätzung stark umgeformter Stahlblechkonstruktionen durch die Bereitstellung von zyklischen Werkstoffkennwerten, die die Festigkeitsänderung infolge des Umformens berücksichtigen.
Bei umgeformten Blechstrukturen sind die zyklischen Kennwerte abhängig vom  Formänderungsverhältnis und Umformgrad. Die örtliche Beanspruchbarkeit im Bauteil ist demnach nach der Umformung inhomogen. Das Versagen der Konstruktion durch Anriss muss daher nicht an der Stelle der höchsten Beanspruchung auftreten, sondern dort, wo das Verhältnis der lokalen Beanspruchung zur lokalen Beanspruchbarkeit, d. h. die Werkstoffanstrengung ein Maximum bildet.
Die derzeit zur Verfügung  stehenden Werkstoffkennwerte sind als Eingangsgrößen in ein Lebensdauerberechnungsverfahren nur bedingt geeignet, weil sie die Änderung der Werkstoffeigenschaften aufgrund einer Umformung nicht berücksichtigen (nur Ausgangszustand). Weiterhin liegen keine Erfahrungswerte vor, welche Formänderungszustände bei zeitlich veränderlichen Beanspruchungen als besonders versagenskritisch anzusehen sind. Eine Verbesserung der rechnerischen Lebensdauerabschätzung umgeformter Stahlblechkonstruktionen kann demnach erreicht werden durch die Ermittlung der zyklischen Werkstoffeigenschaften (zyklisches Spannungsdehnungs-Diagramm und Dehnungswöhlerlinie) für unterschiedliche Werkstoffe, Formänderungsverhältnisse und Umformgrade.
Die Prüfung und Absicherung der Lebensdauerberechnung erfolgten durch den Vergleich von Beispielrechnungen für komplexe Blechkonstruktionen aus dem Karosserie- oder Fahrwerksbereich mit experimentellen Ergebnissen (Einstufen- und Betriebsfestigkeitsversuche).
Den Schwerpunkt des Versuchsprogramms bildete die Untersuchung der Werkstoffe St 14 und ZStE 340 in den Blechdicken 1.0 und 0.8 mm. Zusätzlich wurden stichprobenartig dehnungskontrollierte Versuche an einem isotropen Stahl (ZStE 250i) und einem Dualphasen-Stahl (DP 500) vorgenommen.

Die zyklischen Werkstoffkennwerte wurden an glatten Proben unter Zug-/Druck-Wechselbeanspruchung ermittelt. Am Lehrstuhl für Ur- und Umformtechnik (LUT) im Institut für Produktionstechnik (IPT) der TU Dresden wurde eine Versuchstechnik entwickelt, mit der an ebenen Blechen verschiedene Formänderungsverhältnisse und Umformgrade eingestellt werden können. Im Anschluss an die Umformung wird die Homogenität des Umformzustandes durch visioplastische Untersuchungen dokumentiert. Durch Laserstrahlschneiden wird aus dem umgeformten Blech die Werkstoffprobe für die Bestimmung der zyklischen Werkstoffkennwerte entnommen. Neben der Fertigung der Proben für die zyklischen Versuche wurden durch das IPT Zugversuche durchgeführt und die Fließkurven sowie Grenzformänderungskurven der untersuchten Werkstoffe bestimmt.
Die Versuche zur Bestimmung der zyklischen Kennwerte erfolgten durch das Institut für Maschinelle Anlagentechnik und Betriebsfestigkeit (IMAB) der TU Clausthal. Die Wirkung folgender Einflussgrößen wurde untersucht:

Werkstoff: Deutlicher Einfluss des Werkstoffs auf die zyklische Spannungs-Dehnungs-Kurve. Mit steigender Dehngrenze wird auch der Kurvenverlauf des zyklischen Diagramms angehoben. Auch die Dehnungswöhlerlinie wird mit steigender Dehngrenze zu höheren Lebensdauern hin verschoben. Der Werkstoff muss in eine Näherungslösung zur Abschätzung der zyklischen Werkstoffkennwerte einfließen.

Der Einfluss von Umformgrad und Formänderungsverhältnis auf die zyklischen Werkstoffkennwerte war Hauptgegenstand des Forschungvorhabens. Durch eine Umformung wird bei allen Werkstoffen die Spannungs-Dehnungs-Kurve in Richtung höherer Spannungswerte und die Dehnungswöhlerlinie in Richtung längerer Lebensdauer verschoben. Die Auswirkung einer Umformung ist beim niedrigfesten Werkstoff St 14 stärker als beim höherfesten Werksoff ZStE 340. Bei den untersuchten Werkstoffen kann eher eine Korrelation mit dem Vergleichsumformgrad als mit der Hauptumformung beobachtet werden. In einer Näherunglösung für die zyklischen Kennwerte kann der Umformzustand des Werkstoffs mit Hilfe des Vergleichsumformgrades berücksichtigt werden.

Der Einfluss der Lage der Prüfrichtung zur Hauptumformrichtung wurde in zwei Versuchsreihen bestimmt. Die Proben wurden in Hauptumformrichtung und quer dazu entnommen. Die Spannungs-Dehnungs-Kurve für die quer zur Walzrichtung entnommenen Proben ist zu höheren Spannungen hin verschoben. Der Verlauf der Dehnungswöhlerlinie wird durch die Lage der Prüfrichtung zur Hauptumformrichtung nicht beeinflusst. Der ungünstigste Werkstoffzustand wurde mit Proben ermittelt, die in Hauptumformrichtung entnommen wurden. Die angegebene Näherungslösung berücksichtigt dies.

Eine Mitteldehnung hat nur geringen Einfluss auf das zyklische Werkstoffverhalten. Die aus der Mitteldehnung resultierende Mittelspannung relaxiert bei den untersuchten Werkstoffen St 14 und DP 500 schnell. Die Mitteldehnung wirkt sich wie eine geringe Vordehnung des Werkstoffs durch einachsigen Zug aus. Auch für den umgeformten Werkstoff wird kein Einfluss der Mitteldehnung auf die zyklischen Kennwerte beobachtet. Die Berücksichtigung von Mitteldehnungen ist in einer Lebensdauerberechnung nicht notwendig.

Die Blechdicke hat keinen Einfluss auf das zyklische Verhalten von umgeformtem St 14 in einer Dicke von 0,8 und 1,0 mm. Die Spannungs-Dehnungs-Kurven sind jeweils deckungsgleich, die Dehnungswöhlerlinien weichen nur geringfügig voneinander ab.

Durch die Vielzahl der untersuchten Einflussgrößen (Werkstoff, Blechdicke, Umformgrad, Formänderungsverhältnis, Mitteldehnung und Lage der Beanspruchungsrichtung) entsteht ein umfangreiches Parameterfeld, das nur durch relativ wenige Versuchsreihen abgedeckt wird. Für eine analytische multiple nichtlineare Regressionsrechnung fehlt daher die Datenbasis. Mit Künstlichen Neuronalen Netzen (KNN) bietet sich eine Möglichkeit, die Abhängigkeit der zyklischen Kennwerte von den untersuchten Parametern abzuschätzen und eine Näherungslösung für die untersuchten Werkstoffe anzugeben. Mit Hilfe der KNN kann im mit Versuchergebnissen belegten Bereich des Parameterfeldes interpoliert werden. Die Extrapolation über diesen Bereich hinaus oder die Anwendung auf andere Werkstoffe führt dagegen zu nicht plausiblen Ergebnissen und ist daher unzulässig. Das KNN wurde hier für Parameterstudien eingesetzt, um die maßgeblichen Einflussgrößen zu finden und dann eine Näherungslösung für die zyklischen Werkstoffkennwerte anzugeben, die auf den statischen Werkstoffkennwerten und dem Umformzustand des Werkstoffs basiert.
Für synthetische Werkstoffkennwerte wird das "Material Law of Sheets" (MLSS) vorgeschlagen. Durch den Vergleich von rechnerischer Lebensdauervorhersage und der experimentell bestimmten Lebensdauer für zwei unterschiedliche Strukturen aus umgeformtem Feinblech wurde die Verbesserung der Treffsicherheit durch die Verwendung von Werkstoffkennwerten abhängig von der örtlichen Umformung untersucht.
Für das Verstärkungsblech einer vorderen Federbeinaufnahme aus St05Z liegen experimentelle Ergebnisse bei einstufiger Beanspruchung (Wöhlerversuch) vor. Die rechnerische Lebensdauer wurde mit der Software FALANCS für zwei Fälle bestimmt. Zum einen wird von einer konstanten Blechdicke und den zyklischen Werkstoffkennwerten für den Grundwerkstoff ausgegangen, zum anderen werden durch eine Umformsimulation die Blechdicke bestimmt und die zyklischen Werkstoffkennwerte entsprechend des Umformgrades an der kritischen Stelle eingesetzt. Durch die Rechnung wird die experimentell bestimmte Lebensdauer um einen Faktor kleiner 2 über- bzw. unterschätzt. Beide Vorgehensweisen erweisen sich für das untersuchte Verstärkungsblech als gut geeignet.
Als zweites Bauteil diente eine hintere Stoßdämpferkonsole zur Verifikation des Berechnungskonzeptes bei wechselnden Beanspruchungsamplituden (Betriebslastenversuch). Experimentelle Ergebnisse liegen für die Werkstoffe St14, 3 mm, und DP500, 2,5 mm, vor. Als Basis für die Lebensdauerrechnung mit der Software FATIGUE wurden vier Parametersätze für die Kombination aus zyklischen Werkstoffkennwerten und örtlicher Blechdicke angenommen:

1. Bestimmung der zyklischen Werkstoffkennwerte für den Grundwerkstoff mit Hilfe von Künstlichen Neuronalen Netzen (KNN) und Annahme einer konstanten Blechdicke.

2. Bestimmung der zyklischen Werkstoffkennwerte für den umgeformten Werkstoff mit Hilfe von Künstlichen Neuronalen Netzen (KNN) und Berücksichtigung der örtlichen Blechdicke durch eine Umformsimulation (HYPERFORM).

3. Abschätzung der zyklischen Werkstoffkennwerte für den Grundwerkstoff mit Hilfe des "Material Law of Steel Sheets" (MLSS) und Annahme einer konstanten Blechdicke.

4. Abschätzung der zyklischen Werkstoffkennwerte für den umgeformten Werkstoff mit Hilfe des "Material Law of Steel Sheets" (MLSS) und Berücksichtigung der örtlichen Blechdicke durch eine Umformsimulation (HYPERFORM).

Der Umformzustand an der risskritischen Stelle (zweiachsiges Stauchen) wurde im Rahmen der Versuchsreihen an Werkstoffproben nicht untersucht. Eine Extrapolation der zyklischen Kennwerte für diesen Bereich mit Hilfe von Künstlichen Neuronalen Netzen ist unzulässig. Mit dem Parametersatz 4 wird die Lebensdauer um einen Faktor größer 10 unterschätzt. Mit den Parametersätzen 1 bis 3 wird die Lebensdauer für St14 sehr gut (Faktor < 1,2) und für DP500 gut (Faktor < 5) abgeschätzt. Die geringere Treffsicherheit für den Werkstoff DP500 bei Einsatz der zyklischen Kennwerte nach dem MLSS hat ihre Ursache in der geringeren Datenbasis für DP500 bei der Bestimmung der Parameter des MLSS.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Vorauslegung von Strukturen aus umgeformtem Feinblech für die Bereiche außerhalb der Fügestellen mit der Nennblechdicke und den zyklischen Werkstoffkennwerten für den Grundwerkstoff erfolgen kann. Liegen zu einem späteren Zeitpunkt der Entwicklung Modelle der Umformwerkzeuge für eine Umformsimulation vor, können hinsichtlich ihrer Lebensdauer kritische Strukturen mit Hilfe einer Umformsimulation und mit zyklischen Kennwerten in Abhängigkeit von der örtlichen Umformung optimiert werden.

Forschungsstelle 1:
Institut für Maschinelle Anlagentechnik und Betriebsfestigkeit (IMAB) TU Clausthal
www.imab.tu-clausthal.de
 
Forschungsleiter 1:
Prof. Dr.-Ing. H. Zenner
 
Forschungsstelle 2:
Professur für Umform- und Urformtechnik am Institut für Formgebende Fertigungstechnik der TU Dresden (LUT)
http://mciron.mw.tu-dresden.de/lut/lut.htm
 
Forschungsleiter 2:
Prof. Dr.-Ing. V. Thoms (vorgelegt vom Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA) für Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT))

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF