A089

Ermittlung und Ermüdungslasten an großen Windkraftanlagen (WKA)


(A089 S 24/08/1995)

Laufzeit der Forschungsarbeiten: 1. Juli 1995 – 30. Juni 1997

Die Zielsetzung des Projektes "Ermittlung von Ermüdungslasten an großen Windkraftanlagen" umfaßte die meßtechnische Ermittlung der Ermüdungsbelastungen an Stahlbauteilen von großen Windenergieanlagen in Form von Betriebsbelastungskollektiven und deren Gegenüberstellung zu den in den einschlägigen Zulassungsrichtlinien angegebenen vereinfachten Annahmen für ein Beanspruchungskollektiv.

Während des vorliegenden Forschungsvorhabens wurden zwei Wege beschritten, die Betriebsbelastungskollektive an Stahltürmen und an Rotorblättern im Bereich der Nabe meßtechnisch über einen relevanten Betriebszeitraum zu ermitteln:

Zum einen wurden Zeitreihen der zu messenden Belastungsgrößen für typische Betriebszustände während bestimmter Windgeschwindigkeiten und Turbulenzintensitäten am Beispiel einer 1,5 MW und einer 3 MW WEA aufgezeichnet. Mit Hilfe von Wind- und Betriebsstatistiken, wie sie in den Zulassungsrichtlinien beschrieben sind, wurden aus den gemessenen Zeitreihen Betriebsbelastungskollektive für die Lebensdauer der Anlage synthetisiert. Zur Datenreproduktion wurden pro Windgeschwindigkeitsklasse nur eine begrenzte Anzahl von beispielhaften Rohdaten aufgezeichnet. Der Vorteil dieser Meß- und Auswertungsmethode bestand darin, den Richtlinienvorgaben entsprechende Kollektive bezüglich der Belastungsrichtung, Turbulenzintensität und Windgeschwindigkeitshäufigkeitsverteilung zu synthetisieren. Weiterhin ließen die gesammelten Daten Auswertungen vergleichbarer Lasten unter verschiedenen Turbulenzintensitäten zu, die dann auf höhere Turbulenz extrapoliert werden konnten.

Im zweiten Verfahren erfaßte ein sog. Lastkollektivsammler die Belastungsgrößen an der Meßstelle kontinuierlich und reduzierte die Meßwertzeitreihe online mit der Rainflow-Zählmethode. Das Ergebnis dieser Operation ist eine sog. Übergangsmatrix, die eine Häufigkeitsverteilung der aufgetretenen Belastungszyklen darstellt. Wegen der Daten reduktion vor dem Abspeichern ist dabei ein kontinuierlicher Meßbetrieb über sehr lange Zeiträume möglich (mehrere Wochen bis Monate). Langzeiteinflüsse werden dabai automatisch berücksichtigt. Mit der Datenreduktion durch Rainflow-Zählung geht aber der Verlust des Zeitzusammenhangs der Meßwerte einher, d.h. einem bestimmten Belastungszyklus kann der genaue Zeitpunkt, an dem er stattgefunden hat, nicht mehr zugeordnet werden. Der Lastkollektivsammler wurde in der Regel einmal pro Monat ausgelesen und die Daten mit den parallel dazu aufgezeichneten Meteorologie- und Betriebsstatistiken ausgewertet. Das geschilderte Verfahren erfordert einen kontinuierlichen, automatischen Betrieb der zu vermessenden Windenergieanlage mit 100%iger technischer Verfügbarkeit, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Zwei WEA der 500 bis 600 kW Klasse, beide mit stall-Regelung und Dreiblatt-Rotor, wurden mit diesem Meßverfahren untersucht.

Das Belastungsspektrum des Rotorblatt-Biegemomentes in Schlagrichtung erwies sich zum Beispiel bei der 1,5 MW WEA als wesentlich stärker von der Turbulenzintensität abhängig als das Moment in Schwenkrichtung. Es ergaben sich höhere äquivalente Lasten bei einem Turbulenzintensitätsanstieg von 5% auf 10% sowohl beim Turm als auch beim Rotorblattmoment in Schlagrichtung für diese Anlagengröße.

Bei der MW WEA wurden die äquivalenten Lasten pro 2 m/s Windgeschwindigkeitsintervall für vier Turbulenzintensitätsklassen von 5% Breite für die Rotorblattwurzel in Schlag- und Schwenkrichtung aus der Datenbasis ermittelt. Die Auswertungen ergaben entgegen der Tendenz der Messung an der kleineren Anlage keine eindeutige Erhöhung der Ermüdungsbeanspruchung mit steigender Turbulenzintensität. Die Vermutung liegt  

nahe, daß die Ursache für diese "Unempfindlichkeit" in der Größe der Windenergieanlage und der dadurch bedingten Masse mit den entsprechenden Trägheiten liegt. Kleinräumige Turbulenzfelder werden durch die große Rotorfläche von 5090 m2 und die große Einzelfläche des Rotorblattes selbst ausgemittelt. Es ist daher zu erwarten, daß bei sehr großen WEA eher der Windgradient über der Höhe als die Zunahme der Turbulenzintensität der bestimmendere Faktor für die Ermüdungsbeanspruchung ist.

Die in  den Richtlinien geforderte Turbulenzintensität von bis zu 20% ist an den wenigsten Standorten für die Windenergienutzung meßbar. In der Regel treten im norddeutschen Flachland Turbulenzintensitäten um 10% auf. Um diese Messungen jedoch zur Verifizierung der Lastannahmen verwenden zu können, muß ein geeignetes Extrapolationsmodell vorhanden sein. Es wurde für ein gemessenes Belastungsspektrum bei bekannter Turbulenzintensität ein Korrekturfaktor bestimmt, der dann nachfolgend verwendet wird, um bei vorgegebener neuer Turbulenzintensität die neue Steigerung b des trapezförmigen Spektrums zu bestimmen. Zusätzlich wird der Maßstabsfaktor  A der Weibull-Verteilung berücksichtigt. Für die Turmbelastung in zwei Richtungen sowie die Rotorblattbelastungen an der 1,5 MW wurde dieses Verfahren angewendet. Das Ergebnis der Extrapolation auf eine Turbulenzintensität I = 20% hängt dabei stark vom Ausgangspunkt ab. Der Vergleich zwischen Extrapolation und Messung zeigt für den Fall I = 5% auf I = 10% eine gute Übereinstimmung, besonders bezüglich des Verlaufes des Kollektivs. Die aus der Extrapolation resultierende Steigung ist allerdings etwas zu gering, so daß im Bereich kleiner Lastwechselzahl die Abweichung zunimmt. Das Ergebnis für die Turmbiegung um die Hauptwindrichtungsachse, die deutlich geringer belastet ist, zeigt ebenso eine gute Übereinstimmung zwischen Extrapolation und Messung. Der Unterschied zwischen den Extrapolationen auf I = 20%, ausgehend von unterschiedlichen Turbulenzintensitäten (I = 5%, bzw. I = 10%) ist dagegen weniger ausgeprägt.

Auch für die Rotorblattbelastungen wurden ähnliche Übereinstimmungen ermittelt. Die Extrapolation des Belastungsspektrums für das Moment in Schwenkrichtung zeigt eine etwas zu niedrige Steigung der Extrapolation (5% auf 10%) gegenüber der Messung. Die beiden Extrapolationen auf I = 20% liegen dagegen sehr eng beisammen. Die Extrapolationen für die Rotorblattbelastung in Schlagrichtung zeigten ein ähnliches Ergebnis, allerdings mit etwas größeren Abweichungen. Das verwendete Extrapolationsmodell hat sich in diesem Falle gut bewährt, stößt jedoch sicher dann an seine Grenzen, wenn es sich nicht mehr um trapezförmige Belastungsspektren handeln sollte.

Der Vergleich der online Rainflow-gezählten Belastungskollektive am Turmfuß der beiden stall geregelten 1/2 MW WEA zu dem in  den Richtlinien vorgeschlagenen vereinfachten Lastkollektiven bestätigte den konservativen Ansatz der in den Richtlinien angegebenen vereinfachten Kollektive. Dies war zuvor an einer WEA der gleichen Kategorie auf dem DEWI-Testfeld mit der gleichen Meßmethode ermittelt worden.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes werden über Mitglieder der begleitenden Projektgruppe in die nationale und internationale Richtlinienarbeit einfließen. Weiterhin wird angestrebt, zertifizierte Messungen und Extrapolationen von Messsungen auf andere Standorte und Betriebsbedingungen als Ergänzung zur bisherigen Zertifizierung einzuführen. Dazu müssen die Meß- und Prüfverfahren beschrieben und standardisiert werden. Für die Belastungsmessungen ist die IEC TC 88 Arbeitsgruppe 11 "Load Measurements" als Zielgruppe geeignet. Die Hersteller und Forscher, die im nationalen Spiegelgremium K383
zur IEC TC 88 mitarbeiten, können die Ergebnisse und Erfahrungen des Forschungsprojektes einbringen. Das Forschungsprojekt hat ergeben, daß die vereinfachte "Schub"-Belastungskollektive der GL bzw. DIBt-Richtlinie für den Turmfuß abgeschwächt werden können.

Im Rahmen der Einführung der IEC 61400-1 und der Anpassung der DIBt-Richtlinie und der GL-Richtlinie, hat die meßtechnische Ermittlung von Betriebsbelastungskollektiven, deren Extrapolation auf andere Standortbedingungen und deren Berücksichtigung bei der Zertifizierung von WEA eine besondere Bedeutung. Aus den vorliegenden Forschungsergebnissen können vereinfachte Kollektive für bestimmte Anlagengrößen sowie die Beschreibung von Meß-, Auswerte- und Extrapolationsmethoden nach experimentellen Ermittlungen von Betriebsbelastungen an Prototypen als Ergänzung zur Zertifizierung abgeleitet werden.

Eine firmenübergreifende Grundlagenforschung erwies sich einmal mehr als notwendig. Es wird vorgeschlagen, vereinfachte Lastannahmen für WEA bis 600 kW in den Richtlinien zu belassen und die Möglichkeit offen zu lassen, die Belastungskollektive für den Nachweis der Betriebsfestigkeit vereinfacht oder genauer durchzuführen.

Neben der Einbindung in die Richtlinienarbeit hat die zu größeren Windenergieanlagen tendierende Entwicklung gezeigt, daß gezielte Messungen zur weiteren Optimierung der Komponenten während der laufenden Serie unter Beibehalten des geforderten Sicherheitsniveaus notwendig sind und von der Industrie und den Zertifizierungsstellen öfter verlangt werden. Die Meß- und Auswertungsmethoden, die an einigen WEA im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojektes exemplarisch angewendet wurden, können ein "redesign" der Betriebsfestigkeitsrechnung in Verbindung mit Zertifizierungsstellen und Herstellern gerade bei den großen WEA während des Produktionszyklus zur Folge haben, das zur Kostenreduktion und damit zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit führt.

Forschungsstelle 1:
Deutsches Windenergie-Institut GmbH (DEWI)
www.dewi.de
 
Forschungsleiter 1:
Dipl.-Ing. Jens-Peter Molly
(vorgelegt vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. – VDMA für Fachgemeinschaft Kraftmaschinen)

Das Forschungsvorhaben wurde gefördert von der Stiftung Stahlanwendungsforschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.

Bezugsquelle Schlussbericht:
bitte wenden Sie sich an die AVIF